© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/08 01. Februar 2008

Ein Fünftel kehrt reumütig zurück
Standortverlagerungen: Die Lage in Deutschland ist weniger dramatisch, als der Fall Nokia vermuten läßt
Josef Hämmerling

Die Schließung des Nokia-Werks in Bochum, von der mit Zulieferern mehrere tausend Arbeitnehmer betroffen sind, hat die Diskussion um Standortverlagerungen neu entfacht. Politiker geben medienwirksam ihre Nokia-Telefone zurück, im Internet bilden sich Initiativen gegen den finnischen Weltkonzern (dessen Aktien mehrheitlich in US-Besitz sind), und laut einer Forsa-Umfrage wollen 56 Prozent der Deutschen künftig keine Nokias mehr kaufen (siehe JF-Seite 20). Bei einer Infratest-Befragung für das ARD-Morgenmagazin gaben 67 Prozent an, künftig nur in Deutschland produzierte Waren kaufen zu wollen. 70 Prozent wären sogar bereit, etwas mehr Geld für Made in Germany auszugeben.

Doch deutschlandweit ist die Lage nicht ganz so dramatisch wie im Herzen des Ruhrpotts. Selbst nach Angaben des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) hat es in den vergangenen Jahren "keine spürbare Zunahme von Verlagerungen" gegeben. So kam das WSI letzte Woche zu der Feststellung, daß ein Fünftel der angedrohten Verlagerungen nicht umgesetzt wird. Darüber hinaus verlagern zwei Drittel der Betriebe ihre Standorte innerhalb Deutschlands. Weitere Verschärfungen der europäischen Subventionsregeln, die das EU-Parlament in den letzten Jahren vorgeschlagen hat, wurden von den nationalen Regierungen abgelehnt - auch von der deutschen.

Der Fall Nokia deckt nach Analyse der WSI-Expertin Astrid Ziegler zudem eine weitere Schwachstelle der deutschen Subventionspraxis auf: Subventionszahlungen an Unternehmen werden hierzulande bisher nicht öffentlich gemacht. Deutschland könne sich in dieser Hinsicht die EU zum Vorbild nehmen, so Ziegler: "Die Europäische Kommission ist im letzten Jahr mit gutem Beispiel vorangegangen und veröffentlichte alle Empfänger von europäischen Fördermitteln." Der deutsche Bundesrat hat die europäische Transparenzinitiative dagegen im Sommer 2006 abgelehnt.

Auch ist es nicht so, daß die deutschen Unternehmen sich anders verhalten würden als etwa Nokia, um bei diesem aktuellen Fall zu bleiben. So ergab zum Beispiel eine Studie des Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe, daß alleine 17 Prozent der Betriebe des investitionsgüterproduzierenden Gewerbes in den vergangenen zwei Jahren Teile ihrer Produktion in ausländische Standorte verlagert haben. Je größer die Unternehmen, um so stärker war auch die Verlagerung. Während von den Betrieben mit bis zu 100 Mitarbeitern in diesem Zeitraum nur acht Prozent ins Ausland verlagerten, waren es bei Unternehmen zwischen 100 und 500 Mitarbeitern immerhin schon 24 Prozent und bei Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern stolze 54 Prozent.

Auch bei den Teilbereichen des investitionsgüterproduzierenden Gewerbes gab es große Unterschiede. So verlagerten beispielsweise ein Drittel der Automobilhersteller und ihrer Zulieferer Produktionen ins Ausland, während es beim Maschinenbau und der Elektrotechnik nur jeweils 19 Prozent waren. 31 Prozent der von dem Karlsruher Institut befragten Unternehmen gaben an, in den kommenden zwei Jahren (weitere) Anteile der Produktion ins Ausland zu verlagern. Dabei wollen 84 Prozent der Betriebe, die bereits in den vergangenen zwei Jahren Auslandsverlagerungen vornahmen, damit auch in den kommenden zwei Jahren fortfahren.

Besonders interessant ist, daß viele Unternehmen bei Auslandsverlagerungen zwar billiger produzieren können, dies aber auf Kosten der Flexibilität geht, die sich verschlechtert. Das gilt nach Erkenntnis des ISI vor allem für den Maschinenbau, der durchschnittlich eine um 45 Prozent höhere Durchlaufzeit aufweist als Maschinenbaubetriebe, die keine Produktionsverlagerungen vornahmen. Dagegen weisen die Betriebe des Straßenfahrzeugbaus und der Elektrotechnik im Mittel eine um 51 bzw. 20 Prozent geringere Durchlaufzeit auf als die weiter in Deutschland produzierenden Firmen. Die Auslandsverlagerungen wirken sich nach Erkenntnis des Fraunhofer-Instituts insgesamt positiv auf die Wertschöpfung aus. So liegt die Wertschöpfung dieser Unternehmen im Durchschnitt mit 145.000 Euro um 18 Prozent über derjenigen von Unternehmen, die ausschließlich in Deutschland produzieren.

Eine große Gefahr besteht dieser Untersuchung zufolge darin, daß die Unternehmen durch Auslagerung ins Ausland Know-how einbüßen. Dies kann für deutsche Unternehmen, deren Kernkompetenzen aufgrund eines hohen Qualifikations- und Lohnkostenniveaus vorrangig im High-Tech-Bereich liegen, erhebliche Probleme nach sich ziehen. Dagegen kann der sinnvolle Einsatz neuer Produktionskonzepte sogar die Produktivität der Prozesse in Deutschland erhöhen und somit zur Sicherung von Arbeitsplätzen beitragen.

Allerdings gibt es auch Firmen - immerhin rund 20 Prozent -, die nach einiger Zeit wieder reumütig nach Deutschland zurückkehren. Als Gründe hierfür wurden auf einer gemeinsamen Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer Waldshut sowie des Rationalisierungs- und Innovationszentrums der Deutschen Wirtschaft (RKW) Baden-Württemberg interessanterweise auch die Produktionskosten genannt, die sich bei genauerer Analyse als doch nicht so günstig herausstellten wie erwartet.

Qualitätsprobleme und hohe Koordinationskosten seien weitere häufige Ursachen für die Rückkehr nach Deutschland. Es habe sich auch gezeigt, daß viele Standortverlagerungen ins Ausland durch "stark emotional bestimmte Entscheidungen geprägt seien", lautete das Fazit. Notwendig sei also eine genau Kosten/Nutzen-Analyse, wobei markt- und kundenorientierte Strategien bei der Verlagerung ins Ausland tragfähiger seien, als nur auf das gegenüber Deutschland niedrigere Lohnniveau in diesen Ländern zu schauen. Das sollte Nokia vielleicht auch einmal bedenken.

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