© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Zeitschriftenkritik: Rabenflug
Meisterstücke
Werner Olles

Seit ihrer ersten Ausgabe im Jahr 1991 veröffentlicht die Kultur- und Literaturzeitschrift Rabenflug halbjährlich Beiträge unterschiedlicher Sprach- und Ausdrucksformen sowie Stilrichtungen. Dabei werden bewußt Texte oft zu Unrecht vergessener, kaum noch gelesener und verlegter und nicht mehr lebender Dichter und Schriftsteller mit aktuellen Beiträgen heutiger älterer und junger Autoren zusammen vorgestellt unter dem Aspekt: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Die Herausgeberin Evelyne von Bonin hofft über die Gegenwartsdichtung bei den Rabenflug-Lesern auch deren Interesse für frühere Literatur und die Sprache vergangener Kultur zu wecken. Umgekehrt sollen natürlich auch die bevorzugt an historischer Literatur und Kunst interessierten Leser dadurch einen gewissen Zugang zu heutigen Sprachstilen und Lebensgefühlen entwickeln.

Und in der Tat ist es jedesmal eine besondere Freude, eine neue Ausgabe dieser ambitionierten, anspruchsvollen und liebevoll konzipierten Zeitschrift in den Händen zu halten. So bietet auch das neue Heft auf über dreißig DIN-A-4-Seiten wieder eine Fülle an Gedichten, Kurzprosa, Essays, Skizzen, Zitaten und Rezensionen, die gemeinsam mit dem Editorial der Herausgeberin für eine gehaltvolle Lektüre sorgen. Der deutschbaltische Lyriker Kay Borowsky erzählt von dem großen "Lichterlebnis" bei Dante und Flaubert. Frappierend sind die Parallelen: Dante erblickt in der "Göttlichen Komödie" die blendende Himmelsrose "in einer Dimension und Intensität, die sich Worten entziehen"; am Ende ihres dumpfen Lebens schaut die sterbende Magd Félicité ("Die Glückselige") in Flauberts Erzählung "Ein schlichtes Herz" endlich erlöst stumm auf die strahlende Monstranz. Auch nach vielen hundert Jahren haben diese literarischen Meisterstücke nichts von ihrem hohen Glanz eingebüßt. Welch ein Unterschied zu all den hingeschluderten und belanglosen "sozialengagierten" Milieustudien und kitschigen Melodramen heutiger Zeit!

Seinem Essay über den "Mythos als Welterfahrung und das Erwachen des Logos" setzt Jochen Schaare ein Zitat Erichs Dauenhauers ("Nichtendes Erstaunen") voran: "... und wird im 21. Jahrhundert, wenn die letzten gesellschaftlichen Identitäten wegglobalisiert sein werden, neuartigen Diktaturen den Boden bereiten, die bekanntlich auf entwurzelten Gesellschaften und in torkelnden Nationalstaaten gut gedeihen. Wo gesellschaftliches Leben kaum noch 'geerdet' ist, schlagen verheerende Blitze ein." Magdalena S. Gmehlings Text "Die geheimnisvolle Seelenmesse" führt uns hingegen zurück in das Jahr 1793, und erzählt eine unheimliche Begebenheit aus jener grausamen und blutigen Epoche der Französischen Revolution, als Robespierres Schreckensherrschaft unter den Gläubigen und Königstreuen wütete.

Sehr schön ist auch ein Beitrag von Peter Götz über den in Riga geborenen Dichter, Tierschützer und philosophischen Esoteriker Manfred Kyber (1880-1933). Aufgewachsen auf einem idyllischen Gutshof im alten Livland (heute Lettland), entwickelte dieser Deutschbalte eine ganzheitliche Schau des Lebens, die in einer zuweilen von östlicher Weisheit gefärbten ethisch begründeteten Dichtkunst gipfelte.

Anschrift: Herminenstr. 7, 65191 Wiesbaden. Einzelpreis 3,20 Euro, Jahresabo 6 Euro

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