© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Herr im Eigenen bleiben
Identität & Integration: Erst die richtigen Begriffe schaffen Klarheit / Erste Folge
Götz Kubitschek

Den multikulturellen Traum als Alptraum zu entlarven, gehört seit zwei Jahrzehnten zum Handwerk jeder konservativen Zeitung, Gruppierung, (Splitter)-Partei, die sich jedoch mit ihren Warnrufen oder Prognosen in die Defensive gedrängt sahen: Man war der Schwarzseher, der Menschenfeind, die Spaßbremse im bunten Karneval eines friedlichen Nebeneinanders der Kulturen. Wer von der Gewalt gegen Deutsche berichtete, wurde nicht selten der Lüge bezichtigt oder mit der grotesken Vermutung konfrontiert, ob das türkische Rudel, das einen Deutschen zusammentrat oder niederschlug, nicht doch aus Notwehr gehandelt habe. Und so konnte man mit Recht behaupten, daß hier etwas verschwiegen würde, was doch für Millionen westdeutsche Großstadtbewohner wahrnehmbar sei.

Dieses Verschweigen und Kaschieren haben nicht wenige rechte Gruppierungen als den Grund für ihr Nischendasein angeführt. Die Nische aber birgt die Gefahr der Trägheit, und es gehört ein hohes Maß an Disziplin dazu, es sich im Abseits nicht gemütlich zu machen: Der berühmte Tag X, auf den es sich vorzubereiten galt, sollte der Tag sein, an dem die Massenmedien nicht mehr an der Gewalt gegen Deutsche würden vorbeischreiben können.

Dieser Tag ist nun gekommen. Seit einigen Wochen füllen die brutalen Überfälle ausländischer Gewalttäter auf hilflose Rentner und Schüler die Spalten der Zeitungen. Verblüfft stellen wir fest, daß die Dämme brechen. Das Aufgestaute entlädt sich, und es scheint so, als suchten die Deutschen endlich die Schuld für die auf ganzer Linie gescheiterte Integration nicht bei sich.

In der Wucht dieser Entladung liegt eine große Gefahr: Wenn rechte Gruppierungen kein Mühlrad in die Strömung halten können, verlieren sie ein Thema und gewinnen nichts dabei. Wohlgemerkt: Es geht nicht um publizistischen oder politischen Profit. Es geht darum, unsere deutsche Zukunft zu sichern und Herr im Eigenen zu bleiben, das heißt also: zu bestimmen, nach welchen Gesetzen und Bildern und Grundsätzen in unserem Land gelebt wird und nach welchen nicht.

Aber unsere Gesellschaft ist so gestrickt, daß sie selbst existentielle Themen zu Brei zerreden kann, ohne auf eine Lösung zu kommen. Also geht es doch wieder um unsere Publikationen und organisatorischen Strukturen: Wie nämlich sollte eine für die gefährliche Lage verantwortliche linke Mitte des Problems Herr werden können? Konservative hätten mehr als einen Versuch verdient! Aber so läuft das nicht in der Politik, es ist dies sogar eine der Fallen, die der Pluralismus gestellt hat: Er behauptet, daß es in der Politik Gerechtigkeit gebe; jedoch ist Politik ein Machtkampf, auch und gerade in einem politischen System wie dem unseren, das ausdrücklich die Vielfalt propagiert.

Für den mächtigen Gegner aus der Mitte sind Konservative, Rechte keine gleichberechtigten Konkurrenten, sondern die Verlierer im historischen Prozeß, und somit eine Gruppe, auf die man keine Rücksicht nehmen muß - selbst wenn es recht und billig wäre. Es ist also nur wahrscheinlich, daß in denselben ungeeigneten Strukturen dieselben ungeeigneten Leute mit denselben ungeeigneten Begriffen weiterpfuschen werden.

So ist die Lage, und daran ist vorerst nicht zu rütteln. Konservative, rechte Publizisten hatten ja noch nicht einmal die Kraft, das Thema der gewalttätigen, harten, zersetzenden Wirklichkeit des multikulturellen Traums auf die Tagesordnung zu setzen. Was bleibt ihnen also, jetzt, nachdem Regina Mönch im Leitkommentar und Frank Schirrmacher im Aufmacher des Feuilletons der FAZ am selben Tag, dem 15. Januar, einen "Rassismus gegen Deutsche" ausmachen und die Verantwortung bei den kulturkampfgeschulten türkischen und muslimischen Verbandsfunktionären sehen? Was trägt der Hader darüber aus, daß ein Schirrmacher so tun kann, als sei er so ziemlich der erste, der das ganze Ausmaß und die ganze Tiefe dieser gewaltigen antideutschen Minderheiten erkennt und benennt? Was bleibt uns, wenn wir eingestehen müssen, daß es keine konservative parteipolitische Struktur gibt, die einen Teil der innerlich mobilisierten Deutschen zu einer politischen Handlung bringen könnte?

Es bleibt die Möglichkeit, die richtigen Begriffe immer und immer wieder zu verwenden und somit das geeignete Besteck zur Erfassung der Wirklichkeit anzubieten. Denn auch Regina Mönch und Frank Schirrmacher verwenden noch immer die Sprache der Gegner. Das ist unsere Lücke, und diese Lücke ist kein Trostpflaster, sondern der Durchlaß zu einer wichtigen Arbeit: Deutung, Begriffsfindung, Zuspitzung. Wie wäre es mit der Herleitung und Beschreibung einer Verhaltensweise, die für Millionen unserer Landsleute zum Alltag geworden ist, wofür ihnen aber schlicht der richtige Begriff fehlt.

Die schwere Körperverletzung in der Münchner U-Bahn ist nämlich nur die Spitze des Eisbergs. Die Gewalt hat ihren Nährboden in einem Milieu, das auf dem Schulhof und dem Bolzplatz sein Gesicht zeigt. Blicken wir auf den Schulweg eines deutschen Jugendlichen, der seit Wochen das Opfer einer türkischen Bande ist: Tag für Tag verläßt er sein Haus mit Angst, hat vielleicht überlegt, was er in seine Schultasche packt, ob er seine neue Jacke anzieht, wieviel Geld er mitnimmt. Er wird nämlich "abgezogen" (wie sportlich das klingt!), also: erpreßt und ausgeraubt, und einmal hat er schon Prügel bezogen, ansatzlos, ohne Vorwarnung. Seither ist er eingeschüchtert. Er wählt jeden Tag einen anderen Schulweg. Er beobachtet das Gelände vor der Schule. Er schlüpft ins Gebäude und nach Unterrichtsende wieder hinaus. Er versteckt sich, kommt zu spät, um freies Feld vorzufinden. Irgendwann bekommen seine Eltern Wind von der Sache. Nach erfolglosen Versuchen, dem Sohn zu helfen, suchen sie eine neue Schule für ihn. Aber das schafft für die Freizeit, die Zeit auf dem Bolzplatz, den Weg zum Schwimmtraining, den Gang zu Freunden keine Abhilfe. Dann zieht die Familie um. Sie verläßt ihre günstig gelegene Wohnung, stemmt den Umzug, orientiert sich neu, findet sich zurecht.

Nun die Begriffe: Wir können zuerst beim Schüler, dann bei seiner ganzen Familie "Vermeidungsverhalten" beobachten, das zwangsläufig finanziellen, zeitlichen und emotionalen "Vermeidungsaufwand" nach sich zieht, etwa einen Schulwechsel. Der Trend zu Privatschulen hat seine Gründe auch in den Auswirkungen der multikulturellen Gesellschaft, und Eltern sind für die Unversehrtheit ihrer Kinder Schulgeld zu bezahlen bereit - für etwas also, das bis vor zwanzig Jahren eine selbstverständliche Leistung unseres Staates war. Der Umzug der Familie ist die krasse Form des Vermeidungsverhaltens, die Stadtgeographie spricht von "Binnenvertreibung". Dieses Phänomen ist in anderen Teilen der Welt auch als "white flight" bekannt und gilt als deutliches Kennzeichen und Warnsignal für kulturelle Inkompatibilität, Vertrauensverlust der Bürger und sinkende Standards.

Vermeidungsverhalten, Vermeidungsaufwand, Binnenvertreibung, white flight: vier Begriffe, ist das viel? Ja, das ist viel: Wer in solchen Begriffen zu denken beginnt, der sieht in den Hasensprüngen eines gedemütigten Schülers keine geschickte Flexibilität mehr, sondern die unterste Ebene, auf der ein "Rangordnungskonflikt" (fünfter Begriff) ausgetragen wird.

Für unsere Nation stellt sich an diesem Punkt eine elementare Frage: Wessen Maßstäbe gelten fortan? Während uns Deutschen (und den meisten Europäern) die Verteidigung des Gesetzes und des Maßstabes aufgrund unserer "Regelorientierung" (sechster Begriff) sofort einleuchten, verstehen die meisten  Türken die derzeitige Debatte als Angriff auf ihr So-Sein an sich und verteidigen ihre Interessen aufgrund ihrer "Beziehungsorientierung" (siebter Begriff) und nicht die Opfer oder den Maßstab.

Mit solchen Begriffen die Wirklichkeit zu deuten, ist eine notwendige Aufgabe. Massenverständliche Ausdrücke für die benannten Sachverhalte zu finden, wäre der zweite Schritt. Sie allgemein verwendet zu sehen, wäre ein erster Sieg. Erst von dort aus wäre es dann möglich, Lösungswege aus dem multikulturellen Elend zu formulieren. Warum? Weil dann auch Leute wie Mönch und Schirrmacher so schreiben werden, als sei man sich über notwendige Härten von vornherein klar gewesen. Also: Alles zu seiner Zeit!

Foto: Francisco de Goya, Folge der "Desastres de la Guerra", Blatt 01, Düstere Vorgefühle dessen, was sich ereignen wird (1814-1820): In der Wucht der gegenwärtigen Entladung liegt eine große Gefahr

Die Debattenreihe wird in der nächsten JF-Ausgabe 6/08  fortgesetzt.

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