© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Pankraz,
die Chimäre und das gentechnologische Ei

Nichts als Kuddelmuddel und Irritation wird das neue Gesetz über die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch behandelte Lebens- und Futtermittel anrichten. Das geht schon damit los, daß es sich in Wirklichkeit um ein Gesetz für die Kennzeichnung von gentechnisch gerade nicht behandelten Sachen handelt. Der Verpackungsaufdruck "Gentechnisch nicht behandelt" hat zur Zeit beträchtlichen Reklamewert, und das Gesetz ermöglicht es nun, zum Beispiel Fleisch, Milch oder Eier, die bei Lichte besehen mit Gentechnik vollgestopft sind, freizusprechen und ihnen den begehrten Aufdruck trotzdem zu gestatten.

Es gibt ja kaum noch Schweine, Hühner oder glückliche Kühe, deren Kraft- und Mastfutter nicht gentechnisch aufbereitet ist und die nicht mit gentechnisch optimierten Medizinen gegen Seuchengefahr und dergleichen geschützt werden. Das neue Gesetz erlaubt aber ausdrücklich, die Produkte dieser Tiere ungeniert unter der Marke "Gentechnisch nicht behandelt" auf den Markt zu bringen. Einzige Einschränkung: Die EU muß die verwendeten Genprodukte "freigegeben" haben. Das hat sie natürlich längst, und so steht der politischen Spiegelfechterei nichts im Wege.

Der Vorgang ist typisch für den aktuellen Politikstil, wie überhaupt der öffentliche Umgang mit der landwirtschaftlichen und medizinischen Gentechnik ein Musterbeispiel liefert für die schier unglaubliche Verlogenheit und Augenwischerei, mit der der moderne Mensch gewissen, ihm unangenehmen Notwendigkeiten des Lebens entgegentritt. Er nutzt Konstellationen und Möglichkeiten und beutet sie aus, indem er sie gleichzeitig verteufelt und begeifert. Um sich zu vermehren und Profit zu machen, ist ihm jedes Mittel recht, aber die, die ihm die Mittel zur Verfügung stellen, werden mit Haß und politischer Ausgrenzung überzogen.

Ausgerechnet in der Schweiz, wo Pflanzen- und Tierzüchter jahrhundertelang besonders erfolgreich waren und mittels strengster Selektion und anderer gentechnischer Methoden besonders viele aparte Tierrassen und pflanzliche Schädlingsresistenzen schufen, wurde ein "Moratorium" erlassen, das faktisch jegliche Gentechnik strikt untersagt. In England zertrampelten voriges Jahr immer wieder "Feldbefreier" Versuchsfelder gentechnologischer Institute und solche, die sie dafür hielten; auch ganz normale, herkömmliche Bohnenfelder fielen der Zerstörungswut zum Opfer.

Je weniger man über die wahren Zusammenhänge weiß, um so rabiater geht man "im Namen der Natur" gegen die Gentechniker vor. Dabei ist deren Geschäft von jeher ganz eng mit dem Rhythmus der Natur verbunden gewesen, viel enger als jedes andere. So wie die Natur unentwegt Mutationen an lebendigen Leibern hervorruft und sie anschließend selektiert, so setzten schon die frühesten Landwirte Pflanzen und Tiere mutationsträchtigen Situationen aus und selektierten die Mutanten bedachtsam nach dem Prinzip höheren Ernteertrags und anderer Nützlichkeiten. Es gibt im Grunde nichts typisch Menschlicheres, Gottgewollteres als die Gentechnologie.

Ihre moderne Variante und Erweiterung, nämlich genaue Analyse von DNA-Sequenzen und daraus entspringende Molekül-Kombinationen, ist kein erkenntnistheoretischer oder gar moralischer Qualitätssprung, sondern eine quantitative Ausweitung der bisherigen Praxis, die sich logisch aus dem Fortschritt der Wissenschaft ergibt. Für sie gelten die gleichen theoretischen und moralischen Standards wie für die übrige Wissenschaft auch. Und hochbewährte Einrichtungen, so in Deutschland das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, sorgen dafür, daß diese Standards eingehalten werden.

Mit größter Sorgfalt achten die Forscher etwa darauf, daß die Genkombinationen ihrer Versuchsfelder nicht per Pollenflug unbeabsichtigt auf Wildpflanzen übertragen werden. Die Gefahr von gentechnologischen Unfällen, wie sie von "Feldbesetzern" gerne ausgemalt werden, dergestalt, daß plötzlich irgendwelche gräßlichen Chimären herumlaufen oder einem ahnungslosen Konsumenten, der ein "genbehandeltes" Hühnerei gegessen hat, ein riesiges Horn aus der Stirn herauswächst - diese Gefahr ist gleich Null.

Wenn es Probleme gibt, so entstehen sie weniger aus der Gentechnologie selbst als aus der Vermarktung und Kapitalisierung ihrer Ergebnisse. Es sind keine biologischen, sondern soziale Probleme. Gentechnologische Forschung ist aufwendig und teuer; große Agrar- und Pharma-Konzerne investieren, eignen sich die neuen Fakten und Forschungswege an und lassen sie patentieren, was unter anderem zu schweren internationalen Ungleichgewichten und Abhängigkeiten führen kann.

Besonders konfliktträchtig ist in der Agrarwirtschaft die Entwicklung genbehandelten Saatguts bei synchroner Entwicklung von "zugehörigen" Schädlingsbekämpfungsmitteln, die also nur das exklusiv vom Konzern gelieferte Saatgut schützen, so daß die Bauern, die dieses verwenden, auch das betreffende Schädlingsmittel kaufen und verwenden müssen und vielleicht auch noch speziell für die neuen Produkte vom Konzern entwickelte Aussaat- und Erntegeräte sowie entsprechende Vermarktungsstrategien, alles voll patentiert und lizensiert.

Eine totale, länderübergreifende Konzern-Abhängigkeit entsteht. Pankraz erinnert sich an einen halbdokumentarischen Fernsehfilm, wo ein Konzern, der ein besonders attraktives Saatgut anbot, im Kaufvertrag eine Klausel eingebaut hatte, der die Kunden verpflichtete, ihre Ernte nicht teilweise zur Wiederaussaat zu verwenden, sondern jedes Jahr komplett neues Saatgut zu kaufen. Die Kunden mußten Lizenzgebühren sowohl für die Aussaat wie für die Ernteprodukte bezahlen.

Das Ganze klang gar nicht utopisch, im Gegenteil sehr realitätsnah und ziemlich deprimierend. Wäre die Berliner Politik ehrlich, dürfte sie kein Gesetz zur Kontrolle von Gentechnologie erlassen, sie müßte wohl eher eines zur Regelung des modernen Patentrechts und seiner Folgen auf den Weg bringen.

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