© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/08 25. Januar 2008

Im deutschen Interesse?
Afghanistan und die prekäre Sicherheit am Hindukusch
Karl Feldmeyer

Wie wird das Afghanistan-Unternehmen enden, und was wird aus unseren Soldaten? Das sind die Fragen, die in Deutschland viele beschäftigen, wenn die Rede auf das zentralasiatische Land kommt. So ist es auch jetzt wieder. Die Nachricht, daß ein deutscher Kampfverband das deutsche Isaf-Kontingent und seine Mitstreiter im Norden des Landes vor fremder Gewalt schützen soll, hat Aufsehen erregt. Viele befürchten eine schrittweise Abkehr von der bisherigen Aufgabenstellung, das Land mit friedlichen Mitteln zu stabilisieren, hin zu militärischen Operationen. Ob dies so kommt, hängt von den Taliban ab, deren Stärke und Aktivitäten auch im Norden zugenommen haben.

Einen weiteren Anlaß dafür, sich mit dem Afghanistan-Einsatz zu beschäftigen, bietet die Nachricht, eine Expertengruppe, zu der ehemalige Generale der Bundeswehr gehörten, habe schwere Mängel in der Einsatzführung festgestellt. Inkompetente Führung behindere die Soldaten ebenso wie eine "bizarre Bürokratie", die Kontrollwut des Ministeriums und fehlende strategische Planung. Daß der Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe, ein bedachter Mann, diese Beurteilung mit den Worten bestätigt: "Ich hätte manches genauso formuliert", läßt aufhorchen. Hier ist der Verteidigungsausschuß aufgefordert, sich ein eigenes Urteil zu bilden und entsprechend zu handeln.

Das allgemeine Unbehagen am Afghanistan-Einsatz aber wird anhalten. Der Grund dafür sind vor allem Zweifel am Erfolg. Wenn es in mehr als sechs Jahren weder gelungen ist, Bin Laden zu fassen, noch die Taliban auszuschalten oder Fortschritte bei der Bekämpfung von Korruption und Drogenproduktion zu erzielen, - weshalb sollte dies dann in weiteren drei, vier oder mehr Jahren gelingen? Hinzu kommen Zweifel daran, daß die Beteiligung der Bundeswehr deutschem Interesse entspricht. Der Behauptung des früheren Verteidigungsministers Struck, die Sicherheit Deutschlands werde am Hindukusch verteidigt, hat viele nicht überzeugt, sondern eher bestehenden Argwohn vertieft. Die Mehrheit der Deutschen mißtraut inzwischen generell dem, was die Regierenden sagen; besonders aber dann, wenn sie sich zu so heiklen Themen äußern wie der Entwicklung in Afghanistan. Das hat gute Gründe, denn Regierungen wollen Erfolge präsentieren, auch dann, wenn es keine gibt. Dann wird die Wirklichkeit notfalls geschönt.

So ist es auch hier. Im siebten Jahr des Afghanistan-Einsatzes präsentiert sich nicht nur das Land selbst, sondern die gesamte Region in einem bedenklichen Zustand. Kenner beurteilen die Situation kritischer als jene, die nach der Vertreibung der Taliban im Jahr 2001 eingetreten war. Seit zwei Jahren wird ein Erstarken der Taliban registriert. Sie machen sich nicht nur mit einer wachsenden Zahl von Anschlägen wie dem auf den norwegischen Außenminister bemerkbar. Im umkämpften Grenzgebiet Afghanistans zu Pakistan im Osten und Süden des Landes sind die Taliban allem Anschein nach dominant. Im Süden soll mehr als die Hälfte des Landes ständig von ihnen kontrolliert werden. Inzwischen spricht man intern von der Gefahr einer "Irakisierung" Afghanistans und befürchtet eine Verstärkung der Taliban durch Kämpfer, die aus dem Irak zuziehen könnten. General Kasdorf, Stabschef beim Befehlshaber der Isaf in Kabul, sagte vor wenigen Tagen der FAZ, er erwarte in diesem Jahr "harte Auseinandersetzungen", und schloß weitere Verstärkungen der Taliban aus dem Irak nicht aus. "Es wird zäh bleiben", prophezeite er und wollte den Einsatz von Panzern und Panzerhaubitzen der Bundeswehr nicht ausschließen. Im Süden und Osten stünden sie schon im Einsatz.

Dort liegt inzwischen auch das Zentrum des Mohnanbaus und der Opiumgewinnung. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 6.000 Tonnen Opium unter den Augen der Nato produziert und verkauft. Der Erlös wird mit 3,1 Milliarden Dollar beziffert. Das sind etwa 35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die finanzielle Basis der Taliban, der warlords und der staatlichen Stellen, die durch Korruption an dem Geschäft beteiligt sind. Seit die Nato die Bekämpfung des Mohnanbaus beschloß, wuchs seine Anbaufläche von 90.000 auf etwa 200.000 Hektar an. Das belegt das Versagen der Isaf ebenso wie das der Regierung Karsai, deren Verstrickung in Korruption und Rauschgifthandel offenkundig ist.

Dieser Befund ist deprimierend. Er steht aber nicht allein. Hinzu kommt die Veränderung des politischen Umfelds; insbesondere die der Machtverhältnisse in Pakistan. Als Washington 2001 in Afghanistan eingriff, war der Kampf gegen al-Qaida und Taliban nur ein Grund. Ebenso wichtig war es für die USA, ein Übergreifen des fundamentalistischen Islam auf Pakistan zu verhindern, denn Pakistan ist Atommacht. Tatsächlich aber sind die Fundamentalisten in Pakistan durch Amerikas Eingreifen in Afghanistan gestärkt worden. Sie bilden heute einen wichtigen Machtfaktor, der bei Wahlen eine Mehrheit erringen könnte. Pakistans Atomwaffen in der Hand von Fundamentalisten, die Bin Laden schützen und die Taliban unterstützen: Das wäre eine apokalyptische Bedrohung. All dies gilt es zu bedenken, wenn es um die Beurteilung von Pro und Contra des Afghanistan-Einsatzes auch der Bundeswehr geht.

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