© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Im Banne der Massenleidenschaften
Der Berliner Historiker Dominik Geppert analysiert deutsch-britische "Pressekriege" vor 1914
Kai Zirner

Der Historiker Hermann Oncken befand zur Zeit des Burenkrieges, die Buren seien ein Volk "ritterlicher Helden", die gegen "ein von Börsenspekulanten und Goldjägern auf die Schlachtbank geschlepptes Söldnerheer" kämpften. Kurz vorher hatte Kaiser Wilhelm II., dem britischen Ruf "The Germans to the Front" nach China folgend, die Deutschen mit den Hunnen Attilas identifiziert, mit Nachwirkungen bis in die heutige Boulevardpresse Englands hinein (JF 50/07).

Die Herausbildung dieser Stereotype wurde von einer teilweise an amerikanischen Vorbildern orientierten neuen Massenpresse begünstig, welche der  junge Historiker Dominik Geppert in seiner Berliner Habilitationsschrift im Kontext der deutsch-britischen Beziehungen 1896-1912 untersucht. Dabei führt Geppert zunächst das ganze Arsenal derzeitiger Modewörter der Geschichtswissenschaft vor: von Verflechtungsgeschichte, neuer Politikgeschichte Bielefelder Observanz, Mediengeschichte und natürlich transnationaler Geschichte ist die Rede. Transnationalität zielt auf grenz- und nationsüberschreitende historische Prozesse und Akteure. Ist bei einem derartigen Ansatz schon für die Gegenwart der Wunsch oft Vater des Gedankens, so gilt das für die Zeit um 1900 erst recht. Gerade hier entdecken die Historiker aber emsig transnationale Phänomene, bis zur Lächerlichkeit hin wird versucht, den damaligen alles überragenden Primat des Nationalstaates zu relativieren und zur bloßen Ideologie zu erklären. 

Geppert, der in einem Essay der Bundesrepublik den Thatcherismus empfahl, ist von derartigem Furor gottlob weit entfernt. Im Kern ist seine Studie eine Geschichte feindlicher Pressekampagnen jenseits und diesseits des Kanals im Zeichen einer rasanten "Medialisierung" der politischen Verhältnisse. Die 16 Jahre, die der Autor in den Blick nimmt, sind vom fortwährenden Aufstieg der Massenpresse hüben (Generalanzeiger, Boulevardpresse) wie drüben (yellow press) und der zunehmenden Okkupation auch der Außenpolitik durch die Presse gekennzeichnet.

Galt diese zuvor noch als Arkanum einiger weniger Politiker, so wurde die veröffentlichte Meinung spürbar zum wichtigen Faktor der deutsch-britischen Beziehungen. Die Auslandskorrespondenten gerieten so in die Rolle von Botschaftern, Pressefehden erhielten den Status von diplomatischen Friktionen, die sich der Steuerbarkeit der Politik weitgehend entzogen. Die amtliche Pressepolitik der Wilhelmstraße hatte es dabei besonders schwer, die neue vierte Gewalt zu bändigen. In Großbritannien bediente man sich dafür erfolgreicher der inoffiziellen Kanäle elitärer Clubs. Dadurch ist hier ein stärkerer Gleichklang zwischen Presse und Politik festzustellen. Im Deutschen Reich war die Presse dagegen mehrheitlich linksliberal und oppositionell eingestellt, was die amtliche Pressepolitik erschwerte. Das Publikum schenkte zudem zunehmend eher den Pressekommentaren als den offiziösen Verlautbarungen Glauben.

Geppert behandelt bekannte und gut erforschte Themen unter pressepolitischen Gesichtspunkten. Eine Initialzündung der Pressekriege bildete der Streit um des Kaisers Telegramm an den Präsidenten der Burenrepublik Transvaal Paul Kruger im Jahr 1896. Hintergrund war der britische Einwandererstrom in die Kapkolonie und die beiden Burenfreistaaten. Vorgeblich zum Schutz der Landsleute und mit anfänglicher Billigung des Premiers der Kapkolonie Cecil Rhodes, der von einem britischen Reich von Kairo bis zum Kap träumte, fiel der Brite Leander Starr Jameson im sogenannten "Jameson Raid" in Transvaal ein, wurde aber schnell von den Buren festgesetzt. Dies bedeutete das politische Ende der Karriere von Rhodes, der sich vor einem Londoner Untersuchungsausschuß verantworten mußte, aber freigesprochen wurde.

Die Sache war wegen der wahrscheinlichen Mitwisserschaft von Kolonialminister Joseph Chamberlain politisch sehr heiß und wurde weiter angeheizt von Wilhelm II., der die Buren telegraphisch beglückwünschte. Dies sollte auch ein Warnschuß an die Briten sein, sich besser mit dem Dreibund ins Benehmen zu setzen, führte in der britischen Presse freilich zu einem antikaiserlichen Ausbruch, zu dem es bis 1918 periodisch immer wieder kam. Bis heute ist eine gewisse Kaiser-Obsession der Briten zu beobachten, die Forschung über den letzten Hohenzollern auf dem Kaiserthron liegt denn auch fest in britischer Hand. 

Im Burenkrieg scheiterte bereits Reichskanzler Bernhard von Bülows pressepolitisches Doppelspiel einer innenpolitischen anglophoben Mobilisierung und außenpolitischen Beschwichtigung. Leider zog man daraus in Berlin keine Konsequenzen, was sich während der "navy scare" (Flottenpanik) in Großbritannien ungut auswirkte. Am Beispiel der grotesken englischen Ängste vor einer deutschen Luftinvasion, dem Zeppelinschrecken vom Mai 1909, wird die emotionalisierende Rolle von Lord Northcliffes Daily Mail - der Verleger war selbst Flugenthusiast - deutlich. Letztlich brach Northcliffe die Kampagne aber aus wirtschaftlichen Gründen ab, die immer Vorrang auch vor parteipolitischer Loyalität zu den konservativen Unionisten besaß. Das Deutsche Reich besaß in der Presse Englands zugleich Vorbild- als auch Schreckbildcharakter, beides hing miteinander zusammen: Die Insel sollte ökonomisch und militärisch effizienter werden, um gegen die deutsche Gefahr gerüstet zu sein, was man wiederum durch Imitation erreichen zu können glaubte.

Zwar widmet der Autor sich ebenso wie den Pressekriegen den Verständigungsbemühungen der schreibenden Zunft, die gerade in den beiden Jahren vor dem Krieg initiiert wurden, wo es keine Pressekriege mehr gab und Wilhelm II. in der englischen Presse gar als Friedenskaiser gerühmt wurde. Dennoch war die Presse ein die Beziehungen belastender Faktor, da das zusammenschnürende Korsett wie bei der "Entente Cordial" zwischen der Insel und Frankreich fehlte. Insofern bestätigt Geppert die alte konservative These, daß die "Massenleidenschaften" (Klaus Hildebrand) die Staatenwelt in ernsthafte Konflikte stürzen können, zumindest wenn kein solcher Virtuose wie Bismarck die Geschicke lenkt, der sich der Klaviatur der öffentlichen Meinung nach Gusto zu bedienen verstand.

Das Beispiel Bismarck zeigt, daß auch schon vor der Jahrhundertwende die Presse eine Determinante internationaler Politik war. Geppert zeigt so also eher graduelle Veränderung als einen suggerierten Strukturwandel auf. Wohlweislich hütet er sich jedoch davor, seine journalistischen Akteure hinsichtlich des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs zu überschätzen. So liegt der Ertrag der Studie weniger in einer Großthese als in der Nachzeichnung publizistischer Gefechte in ihrer Interaktion mit der Politik im Zeitalter des Wilhelminismus. Diese Interaktion war zeitgenössisch gerade bei den deutschen Diplomaten nicht gut gelitten, umgekehrt überschätzten die Engländer die Möglichkeiten deutscher Pressesteuerung, eines von vielen Mißverständnissen zwischen beiden Ländern.

Dominik Geppert: Pressekriege. Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896-1912). Oldenbourg Verlag, München 2007, gebunden, 490 Seiten, 49,80 Euro

Foto: Karikatur im Londoner "Punch" auf Kaiser Wilhelm II. während der Marokko-Krise 1905: Periodische antikaiserliche Ausbrüche

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