© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Frisch gepresst

Migration. In der Einleitung zu dem von ihr herausgegebenen Sammelband "Ethnizität und Migration" (Einführung in Wissenschaft und Arbeitsfelder. Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2007, broschiert, 319 Seiten, 29,90 Euro) kann die Göttinger Ethnologin Brigitta Schmidt-Lauber der Versuchung nicht widerstehen, den Zugriff ihrer Disziplin auf das wichtigste politische Problem der meisten europäischen Gesellschaften, ihre Umgestaltung durch "Einwanderung", als besonders innovativ anzupreisen. "Seit den 1990er Jahren" seien von der "transnationalen Forschungsrichtung" hierfür wichtige Impulse gegeben worden. Dabei erschöpfen sich diese "zentralen Anregungen" für sie jedoch darin, die "räumliche Gebundenheit von Kultur" zu problematisieren. Und das ist nun wirklich ein alter Hut, eine Selbstverständlichkeit unter Geisteswissenschaftlern seit dem 19. Jahrhundert. Nicht eben neu ist auch der Beitrag Klaus J. Bades, der wieder einmal in groben Strichen Einblicke in das Erkenntnispotential der von ihm allen erreichbaren politischen Instanzen und Foren angedienten "Historischen Migrationsforschung" vermitteln möchte. Jochen Oltmer strapaziert das beliebte Klischee der "politischen Konstruktion von Minderheiten in der deutschen Geschichte". Auf dem Pfad der "Konstruktion" geht Regina Römhild noch einen sozialpädagogisch inspirierten Schritt weiter in die Gegenwart, um sich der "Ethnisierung im Alltag" zu widmen, wie sie sich in Frankfurter Kindergärten und Schulklassen beobachten lasse.

Workuta. Eine "Beschränkung des Gesichtskreises" konstatiert der Historiker Wolfgang Schuller bei denjenigen, die in Unkenntnis des Gulag-Systems für sich in Anspruch nehmen, Forschung der Zeitgeschichte "mit all ihren Schrecklichkeiten" zu verstehen und "damit eine Basis für unser eigenes Handeln zu gewinnen". Die gewissenhafte Arbeit über den Streik der Häftlinge in Workuta von 1953 könnte dazu dienen, Schullers subtil verurteilter Subjektivität entgegenzuwirken, die insbesondere dem kommunistischen Unrecht zuteil wird. Obwohl der Aufstand brutal niedergeschlagen wurde, deuten die auch als Beiträger in diesem Werk auftretenden Workuta-Überlebenden diesen als "Meilenstein im Aufbegehren des Menschen gegen ein unwürdiges Dasein". Eine 2005 in Rußland erschienene Dokumentation von Archivbeständen über das Gulag-System ergänzt die Augenzeugenberichte aus der Perspektive der offiziellen sowjetischen Stellen. Dem Aufstand und seinen Opfern wurde damit gleichsam ein Denkmal gesetzt (Wladislaw Hedeler, Horst Hennig, Hrsg.: Schwarze Pyramiden, rote Sklaven. Der Streik in Workuta im Sommer 1953. Leipziger Universitätsverlag, Leipzig 2007, gebunden, 289 Seiten, Abbildungen, 32 Euro).

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