© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Einzigartig ist alles
Ohne Vergleich keine Unterscheidung: Ein Greifswalder Wissenschaftler kontert souverän die Verleumdungskampagne gegen ihn
Doris Neujahr

Nach der Lektüre von Egon Flaigs Aufsatz "Das Unvergleichliche, hier wird's Ereignis" im Oktoberheft des Merkur (JF 44/07) fragte sich der Leser unwillkürlich: Ob das wohl gutgeht? Nun ist Flaig, der den Lehrstuhl für Alte Geschichte an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald innehat, bekannt dafür, daß er kein Blatt vor den Mund nimmt. Für die FAZ hat er luzide Grundsatzartikel zum Verhältnis des Westens zum Islam verfaßt, zuletzt in der Ausgabe vom 28. Dezember 2007 über die Alternative "Republik oder Kalifat?", in dem er die "amnestische Barbarei" der "multikulturalistischen Intellektuellen" anprangert.

Im Merkur hatte er sich an ein noch pikanteres Thema gewagt und war die deutsche Zivilreligion, auf der die These von der Unvergleichbarkeit des Holocaust basiert, frontal angegangen. Laut Flaig ist das Vergleichen die maßgebliche Operation, um zu differenzieren. Auch wer das Unvergleichliche denken wolle, müsse es von allem anderen Seienden begrifflich absondern: "Dieses Absondern setzt voraus, daß man es unterschieden hat. Man muß es also zuvor schon verglichen haben mit allem Vergleichlichen." Die Behauptung, ein Sachverhalt oder Ereignis sei unvergleichlich, ist logisch gesehen ein Unsinn: "Solcherlei geschieht, wenn es um Geltung und Tabuierung geht." Ob diese Tabuisierung gelingt, hänge davon ab, wie wuchtig die moralische Einschüchterung wirkt. Unvergleichbarkeit zu postulieren, bedeute, die intellektuelle Welt zu terrorisieren.

Zu der Behauptung, wer den Holocaust vergleiche, bestreite das Einzigartige an ihm, schreibt Flaig: "Es gibt keinen dümmeren Satz." Rein logisch sei alles Existierende singulär, weil die Bedingungen des Existierens für zwei Dinge unmöglich dieselben sein können: "Sogar der Rotz in meinem Taschentuch ist singulär." Beim Holocaust solle das "belangloseste Prädikat zu einem Privileg" erhoben werden. Die Aussage der US-Historikerin Deborah Lipstadt, wonach die Leugnung der "Einzigartigkeit" der Schoah eine Weise sei, um die Schoah selber zu leugnen, kommentiert er: "Lipstadt zielt auf die radikale, alle Kontexte sprengende Unvergleichlichkeit; so wird aus der Schoah ein sakrales Geschehen, das höchstens der Offenbarung Gottes am Berg Horeb gleichkommt." Das gehe eben nur gegen Logik und Vernunft. Darum griffen die Anhänger der Lipstadt-These zum "moralischen Terror". Es gehe nicht mehr um Wissenschaft, sondern um einen "politischen Machtkampf".

Seither hatten seine Gegner reichlich Zeit, Flaigs Aufsatz zu widerlegen. Sie haben sie ungenutzt verstreichen lassen, wohl aus Einsicht in seine stringente, unwiderlegliche Argumentation. Die Funkstille dauerte bis zum 20. Dezember 2007. An diesem Tag wurde auf der ersten Seite der Rostocker Ostseezeitung (OZ) im Inhaltsverzeichnis ein Artikel angekündigt: "Greifswalder Uni-Professor in der Nazi-Falle?" Auf Seite 5 dann die dramatische Überschrift: "Tappte Professor in Nazi-Fettnapf? Politiker kritisieren Greifswalder Historiker nach 'Schleimvergleich'".

Das Verbreitungsgebiet der Ostseezeitung deckt den ehemaligen Bezirk Rostock ab, einen breiten Küstenstreifen von der Lübecker Buch bis zur Insel Usedom. Sie nennt sich: "Die Unabhängige für Mecklenburg-Vorpommern", aber das täuscht. Bis 1989 war sie das Organ der SED-Bezirksleitung. Kurz nach dem Mauerfall, als die DDR-Revolutionäre ihre Zeit mit Dialogen an Runden Tischen verplemperten, anstatt die SED-Presse zu enteignen, spannen Emissäre des Springer-Konzerns bereits erste Fäden nach Rostock, wo die Mehrzahl der angestellten Meinungssoldaten blitzschnell umschaltete. Heute gehört die Ostseezeitung zur einen Hälfte dem Springer-Verlag und zur anderen den Lübecker Nachrichten, die wiederum zu 49 Prozent ebenfalls von Springer kontrolliert werden. Wie es unter diesen Umständen um die innere und äußere Unabhängigkeit der Zeitung bestellt ist, kann man sich denken.

Nun ist ein biederes Lokalblatt das falsche Forum und seine Leserschaft auf jeden Fall die falsche Zielgruppe, um einen komplexen Text wie den Merkur-Aufsatz von Egon Flaig zu erörtern. Es geht auch gar nicht um den Aufsatz, sondern um die gesellschaftliche Vernichtung des Autors. Dazu ist eine Zeitung, die an seinem Arbeitsort eine Monopolstellung hat, gerade richtig.

Der OZ-Artikel beginnt mit der Behauptung, Flaig erhalte "seit Wochen breite Zustimmung aus der rechtsextremistischen Szene". Und weiter, er habe "die Ermordung von über sechs Millionen Juden (...) in einen Zusammenhang mit dem 'Rotz in meinem Taschentuch' oder dem 'Schleim in meinem Halse'" gestellt. Genau das hat er eben nicht getan, sondern er hat die falsche Erhabenheit der Holocaust-Rede karikiert.

Aber wer sind die empörten Politiker, von denen in der Überschrift die Rede war? Nur zwei werden genannt: Der Vorsitzende der Linkspartei in Mecklenburg-Vorpommern, Peter Ritter, der sagt, "in einem so hochsensiblen Bereich der deutschen Geschichte sollten die Worte sorgfältiger gewählt werden". Die Äußerung ist von beinahe staatsmännische Zurückhaltung. Ritter wurde anscheinend von einer Journalistenfrage überrascht und hat mit einer typischen Politikerformel reagiert. Bei dem 48jährigen Diplomphilosophen mag auch Respekt gegenüber einem eigenständigen Denker wie Flaig eine Rolle spielen.

Diesen Respekt läßt der andere Politiker, der 30jährige Landtagsabgeordnete und stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Mathias Brodkorb, vermissen, obwohl auch er ein Philosophiestudium absolviert hat. Inquisitorisch fordert er von Flaig "eine selbstkritische Reflexion" darüber, "welchen Erkenntnisgewinn" es habe, "im Zusammenhang mit dem Warschauer Ghetto und der Schoah den Schleim im Halse und den Rotz im eigenen Taschentuch ins Spiel zu bringen"! Man kann nur erschüttert konstatieren, wozu ein Philosophiestudium in Deutschland heute intellektuell und sittlich befähigt - und wozu nicht. Brodkorb fehlt es an den geringsten hermeneutischen Fähigkeiten, er kann nur moralisieren.

Der OZ-Artikel verweist auf einen Beitrag Brodkorbs im Internetforum "Endstation rechts". Es handelt sich um eine Initiative der Landes-SPD. Ein Textvergleich ergibt, daß der Zeitungsartikel lediglich einen vom Schweriner Landeskorrespondenten der OZ verfertigten Abklatsch von Brodkorbs dortigem Beitrag darstellt, der ebenfalls am 20. Dezember erschien. Die Parteipresse kehrt durch die Hintertür zurück. Brodkorb hat schon mehrere Büchlein über den Rechtsextremismus veröffentlicht, ohne echte Resonanz zu finden. FAZ-Rezensent Manfred Funke mokierte sich über diesen "jungen Mann" als einen Vertreter der "aktuellen Verdachts- und Besorgniskultur gegen 'Rechts'" und sprach ihm den wissenschaftlichen Anspruch ab. Brodkorbs Beitrag über Egon Flaig ist auch über das Internetportal "Störungsmelder. Wir müssen reden. Über Nazis", abrufbar, eine Unterabteilung im Internetauftritt der Zeit und antifaschistische Müllkippe.

Weil Flaigs Merkur-Aufsatz für eine großaufgemachte Verleumdung nicht genügend hergab, wurde daneben eine Dokumentation "Peinliches von Jenninger bis Matthäus" plaziert, die "Wortspiele mit Vergleichen aus der Nazi-Zeit" aufführt. Erstellt wurde sie vom Chef vom Dienst der Zeitung, Jens Burmeister. Der Name ist deshalb von Interesse, weil OZ-Leser aus DDR-Zeiten sich gut daran erinnern, daß unter ihm stets auffallend steile, systemkonforme Artikel und Kommentare erschienen, die jeden Anflug von Ironie oder Subversion vermissen ließen. Gekrönt wurde die OZ-Kampagne von einem "Pietätslos" überschriebenen, grottenschlechten Kommentar, der aus wirren Gedankenfragmenten, schiefen Bildern und ungekonnter Polemik besteht.

Brodkorb fühlte sich sicher genug, daß er in "Endstation rechts" ein Interview mit Flaig ankündigte, das Anfang Januar tatsächlich erschien. Es wurde zum Desaster für Brodkorb. Der scharf und klar formulierende Flaig hat ihn verbal übers Knie gelegt und ihm nach Strich und Faden den Hintern versohlt. In der Sache ist er keinen Millimeter zurückgewichen. Auf die Frage, ob ihn der Beifall von Rechtsextremisten störe, antwortete er: "Nein. Auch Linksextremisten fänden in dem Artikel zustimmungsfähige Elemente, sogar Islamisten täten das, wollten sie bloß. Warum? Weil die meisten vernünftigen Aussagen zustimmungsfähig sind für eine breite Skala politischer Strömungen. Es ist völlig unmöglich, die Zustimmung zu irgendeiner Äußerung zu irgendeinem Thema auf diejenige Schnittmenge von Gruppen oder Personen zu begrenzen, die dem Sprecher oder Schreiber genehm sind."

Ob ihn der Presseartikel beeindrucke? "Weshalb sollte ich mich von der Berichterstattung der Ostseezeitung beeindruckt zeigen, die mir einen sprachlichen Fehlgriff vorwirft und selbst zu einer Verleumdungskampagne gegen mich ausholt, von der selbst die Bild-Zeitung noch etwas lernen könnte? Ich sehe wohl, daß die Medien ihren spezifischen Konkurrenzmechanismen unterworfen sind, daß Journalisten dringend Knüller brauchen - inmitten der langweiligen Verkehrsunfälle ihrer Region einerseits und anderseits der internationalen Politik, für die ihnen schon lange das Verständnis abgeht, weil sie dafür sich gründlich bilden und geduldig lesen müßten, wofür ihnen weder Zeit noch geistige Kraft bleibt. Besser also, Knüller zu finden: Wo ist ein Andersdenkender? Anlegen, zielen, abdrücken! Es ist zum Piepen! (...) Aber - auch wenn die Vernunft der Komödie höher steigt als die tragische Vernunft: Moralischer Terror ist das trotzdem. Und dafür gibt es keine mildernden Umstände. Meine Schlußfolgerung ist einfach: Verleumdet zu werden, ist zwar ein Risiko, das der Andersdenkende einzugehen hat. Aber 'Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden'; deshalb lohnt es, dieses Risiko einzugehen: um eine Handbreit geistiges Terrain zurück zu gewinnen - für die Freiheit zum Andersdenken."

Auch der Hinweis auf die Gefühle von Holocaust-Überlebenden konnte ihn nicht zur Selbstkritik an seiner Wortwahl bewegen: "(...) kein Überlebender kann mich dazu nötigen, die Wahrheit nicht zu sagen. Wer mich mißversteht (...), ist entweder der deutschen Sprache nicht mächtig oder geistig nicht in der Lage, einer theoretischen Überlegung zu folgen. Der Anstand verlangt, daß so jemand seinen Mund hält."

Foto: Holocaust-Mahnmal in Berlin-Mitte: Das belangloseste Prädikat soll zum Privileg erhoben werden

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