© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Deutsche Seelen im Transit
In der Schwebe: Schumanns Oratorium "Das Paradies und die Peri"
Jens Knorr

Anfang Januar war es, da haben in der halb gefüllten Philharmonie Ingo Metzmacher und das Deutsche Symphonie-Orchester Studenten, Schülern und Arbeitslosen Hören, Fühlen und Denken abgefordert, und zwar mit Olivier Messiaens "Turangalîla-Symphonie", und Bewunderung für den hierzulande immer noch nicht genügend bekannten Pianisten Jean-Efflam Bavouzet.

Von der Weltseele zur deutschen ist es nur eine Woche hin. Am Sonntag und Montag stand in der gut gefüllten Philharmonie Metzmacher wiederum vor seinem Orchester und dem Rundfunkchor Berlin. Das dritte Konzert der thematischen Reihe "Von deutscher Seele" galt Robert Schumanns weltlichem Oratorium "Das Paradies und die Peri" - und keiner regt sich mehr auf. Dabei hat gerade dieses Werk, uraufgeführt am 4. Dezember 1843 im Leipziger Gewandhaus unter Leitung des Komponisten, eine mit Ideologien aufgeladene Rezeptionsgeschichte erfahren, welche demokratische Kunstzensoren doch hätte auf den Plan rufen müssen.

Die Versdichtung "Lalla Rookh" des Iren Thomas Moore dürfte Schumann seit seiner Kindheit gekannt haben, eine deutsche Übersetzung war 1822 im Verlag seines Vaters erschienen. Auf Schumanns Anregung hin verfertigte sein Zwickauer Jugendfreund Emil Flechsig 1841 eine Übersetzung, die Schumann zur Grundlage des Librettos nahm, das im Januar 1942 fertig vorlag und mit dessen Vertonung er ein Jahr später, im Februar 1943, begann.

Eine Péri, Tochter eines Engels und einer Sterblichen, sehnt sich nach dem verlorenen Paradies, aus dem sie ihrer fleischlichen Herkunft wegen verbannt wurde. Findet und bringt sie jedoch des Himmels liebste Gabe dar, so darf sie entsühnt ins Paradies eintreten. Ihre ersten beiden Gaben, der letzte Bluts­tropfen eines tapferen jungen Kriegers, der sich für die Freiheit opferte, und der letzte Liebesseufzer einer Jungfrau, die mit ihrem pestkranken Geliebten in den Tod gegangen, sind dem Himmel heilige, aber die heiligste Gabe noch nicht. Die Reuetränen eines Verbrechers angesichts eines betenden Knaben vermögen der Péri die Pforte zum Garten Eden zu öffnen.

Männertugend und Liebestod, die von Reue überstrahlt werden, Reue über falsch gelebtes Leben angesichts des noch nicht gelebten, die Verzeihen erst möglich macht - das mochte zwei Jahre nach der Schlacht bei Waterloo oder zu den großen Tagen der Achtundvierziger noch angehen, aber nicht mehr 1914 und 1943. Zum Ersten Weltkrieg wurde Schumanns Oratorium als "Musik zur Totenfeier unserer Heldenscharen" aufgeführt, und 1943 zum hundertsten Jahrestag der Uraufführung unter Leitung von Kurt Barth in einer Fassung, für die Max Gebhard im Auftrag von Joseph Goebbels den ersten gegen den dritten Teil getauscht hatte, um die Reue als die geringste der höchsten, dagegen den Opfertod - "Denn heilig ist das Blut, für die Freiheit verspritzt vom Heldenmut!" - als die höchste der Gaben erscheinen zu lassen.

Und 2008? Franz von Stuck malt und Franz Kafka dichtet den Wächter des Paradieses als einen Mann, Schumann gibt ihm die Stimme einer Frau. Stella Doufexis singt die kurzfristig übernommene Partie des Engels in einer Art, die keine Zweifel an der von Schumann intendierten Rangfolge der Gaben zuläßt. Marlis Petersen singt die Peri als Zwischenwesen in Zwischenwelten, das dort nicht heimisch ist, wo das Blut vergossen, der Seufzer geseufzt und die Träne gequollen, und das dort heimisch sein möchte, wo Blut und Seufzer und Träne aufgehoben sind. Man möchte Petersens hellreinen Sopran irgendwo zwischen Vergangenheit und Zukunft verorten, so wundersam ungegenwärtig klingt er, wie ja auch die Gegenwart keinen rechten Ort in Schumanns Werk und Leben hat. Christoph Prégardien, Ruth Ziesak, Werner Güra und Michael Volle haben der Gegenwart zuviel im Verfolg der musikalischen Linie, anstatt sie gesanglich vorzugeben, Prégardien, nicht ohne seinen schönen Tönen dramatische Blicke nachzusenden. Aufhorchen macht der junge Bassist Günther Groissböck!

Kann es sein, daß für diesmal vor allem Marlis Petersens Interpretation zum Kern des Oratoriums und des Romantischen, der deutschen Seele in der Musik vorgestoßen ist? Ingo Metzmacher nimmt Schumanns Amalgam aus politischer Sendung, musikalischer Neuerung und geheimer Botschaft an Clara und ihren Vater, den alten Wieck, für ein großes Ganzes. Getreu der Intention des Komponisten gibt er "nicht für den Betsaal - sondern für heitere Menschen" einen generalisierend fröhlichen Takt vor, als fürchtete er, sich in entscheidenden Momenten in den Tiefen der deutschen Seele womöglich zu verlieren. Ihr Stürmen und Drängen, ihre Freudentänze und ihren Sangesjubel teilt er gerne mit.

Foto: Gustave Moreau, "Une Péri", 1865: Tochter eines Engels und einer Sterblichen

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