© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Zurück aus Fort Knox
Politische Zeichenlehre XL: Die Stephanskrone
Karlheinz Weissmann

Ungarn gedenkt dieser Tage der Rückkehr der "Stephanskrone" vor dreißig Jahren, im Januar 1978. Die Bezeichnung Stephanskrone ist zwar lange als irrig bekannt - die Krone geht nicht auf den legendären Gründer Ungarns, den König und Heiligen Stephan zurück -, aber so populär, daß sie kaum noch außer Gebrauch kommen wird.

Auch der offizielle Name "Heilige Krone" verweist auf den ersten christlichen Herrscher der Magyaren und findet seinen sinnfälligen Ausdruck in dem (seltsam abgebogenen) Reichsapfel mit Kreuz auf dem Kronschmuck. Wahrscheinlich handelt es sich bei der Stephanskrone um eine Kombination aus der Reifkrone des byzantinischen Kaisers Michael Dukas und Teilen westlicher Kronen, die man zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert zusammenfügte.

Bis 1916 wurden alle ungarischen Könige mit der Stephanskrone gekrönt, aber auch nach dem Sturz des letzten Habsburgers und der faktischen Abschaffung der Monarchie behielt sie ihren Rang als Symbol der Nation. Sie fand sich über dem Wappen oder alleinstehend. Der ungarische Staatschef in der Zwischenkriegszeit, Admiral Miklós Horthy, betrachtete sich offiziell als "Reichsverweser", der in Abwesenheit eines legitimen Monarchen die Macht ausübte, die durch die Stephanskrone repräsentiert wurde; Gerichtsurteile ergingen "Im Namen der Heiligen Krone".

Als am Ende des Zweiten Weltkriegs der Führer der ungarischen Faschisten, der "Pfeilkreuzler" Franz Szàllassy, die Macht übernahm, leistete er noch 1944 seinen Amtseid auf die Stephanskrone, war dann aber bereit, die Insignie an das verbündete, allerdings gegenüber dem Alliierten mißtrauische Deutschland auszuliefern. Das wurde durch die "Kronenwächter" - eine Offiziers­einheit, die mit der Sicherung der Insignien beauftragt war - verhindert. Sie retteten die Krone auch vor der Roten Armee nach Österreich. Zeitweise wurde sie vergraben, aber infolge der Gefangennahme durch die US-Streitkräfte mußten die Kronenwächter das Versteck preisgeben und die Stephanskrone schließlich an die Vereinigten Staaten ausliefern.

Die USA betrachteten die Stephanskrone ausdrücklich nicht als Kriegsbeute, sondern als Besitz des ungarischen Volkes, dem er wegen der zwischenzeitlich erfolgten kommunistischen Machtübernahme aber nicht übergeben werden konnte. Sie wurde in Fort Knox aufbewahrt, wo sich auch der größte Teil der amerikanischen Goldreserven befand. Den Ort hielt man vor der Öffentlichkeit geheim, und die Kronenwächter waren formell weiter für die Sicherheit der Krone verantwortlich.

Merkwürdigerweise zeigten die Kommunisten ein besonderes Interesse an der Rückkehr dieses Symbols, das doch einer aus ihrer Sicht lange überwundenen Epoche angehörte. Als 1952 zwei amerikanische Piloten bei einem Spionageflug über der Sowjetunion abgeschossen wurden und in Gefangenschaft gerieten, verlangte Moskau für die Freilassung ausgerechnet die Stephanskrone, was Washington aber ablehnte. Erst im Zeitalter der Entspannung, angesichts der Hoffnung auf eine selbständigere Außenpolitik Ungarns und gewisse wirtschaftliche Vergünstigungen, ließ Präsident Jimmy Carter die Krone 1977 der kommunistischen Regierung in Budapest übergeben.

Die scharfen Proteste ungarischer Emigranten verhallten ungehört. Die US-Regierung erreichte immerhin, daß die Krone öffentlich ausgestellt und deutlich gemacht werden mußte, daß die Rückgabe ein Freundschaftsakt des amerikanischen gegenüber dem ungarischen Volk war, keine Konzession gegenüber dem Regime. Staatspräsident János Kádár durfte dementsprechend bei der ersten Präsentation nicht zugegen sein. Die Anteilnahme der Bevölkerung an der Rückkehr der Krone war außerordentlich stark. Letztlich diente sie aber auch als Mittel, der kommunistischen Herrschaft den Anschein von Legitimität zu verschaffen.

Deren Untergang hat das auf Dauer nicht verhindert, und Ende der achtziger Jahre - angesichts der Krise des Sowjetblocks - befürworteten selbst Kommunisten im Verfassungsausschuß des ungarischen Parlaments die Ersetzung des roten Sterns über dem Staatswappen durch die Stephanskrone.

Nach Beseitigung der KP-Herrschaft führte Ungarn am 3. Juli 1990 tatsächlich ein Staatswappen in dieser traditionellen Gestalt ein, anläßlich der Tausendjahrfeier Ungarns wurde die Stephanskrone am 1. Januar 2000 in den Kuppelsaal des ungarischen Parlaments überführt, um Würde und Dauer der Nation zum Ausdruck zu bringen.

Foto: Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen