© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

CD: Klassik
Verkürzung
Jens Knorr

Wir schrieben das Jahr Nullnulleins der Thüringer Zwölf-Cellisten-Zeit, verkündet die herbstliche Stimme über gefällig arrangierter Musik zu der Serie "Star Trek". Die Stimme gehört dem Rezitator Wolfgang Jahn, und er leiht sie noch zwei Gedichten aus Erich Kästners "Die 13 Monate" und einer unsäglichen Parodie auf das den Zyklus beschließende Gedicht, die ihm der Erfurter Kabarettist Ulf Annel angerichtet hat. Davor und danach gibt's Leichtes ("Ich hab' für dich 'nen Blumentopf bestellt" von Erwin Bootz, "Wochenend und Sonnenschein" von Milton Ager) und zu leicht Genommenes ("Feuertanz" von de Falla), gut Gemachtes ("Prelúdio" aus der Bachianas Brasileiras Nr. 1 von Villa-Lobos) und gut Gemeintes ("Präludium" aus der Orchestersuite Nr. 5 von Eisler, das unvermeidliche "Air" von Bach) - vieles und für manchen etwas.

Es ist ein buntes Programm, wie zu geselligem Anlaß auf zwölf Celli gezaubert, doch die zwölf Cellisten aus zwölf Thüringer Orchestern und von der Weimarer Musikhochschule haben sich nicht zu geselligem Anlaß zusammengefunden. "Der erste Streich", so der Titel ihrer CD bei Querstand (VKJK 0721), gilt vielmehr dem Streich des Thüringer Kultusministers Jens Goebel, den Thüringer Theatern und Orchestern ab 2009 jährlich zwölf Millionen Euro zu kürzen, was nicht auf Umstrukturierung, sondern auf Abwicklung hinausliefe. Wir schreiben das Jahr Nullsiebzehn des permanenten Kulturabbaus in Mitteldeutschland.

Musikalisches Denken ist Denken hochkomplexer Strukturen. In der Wissenschaftskultur des Mittelalters zählte Harmonielehre, als eine der sieben freien Künste, der Artes liberales, zum Quadrivium der mathematischen Künste, die als Propädeutikum auf das Studium der im strengen Sinne wissenschaftlichen Fächer vorbereiteten. Wie wäre einem mitteldeutschen Politikdarsteller begreiflich zu machen, daß der Abbau musikkultureller Infrastruktur mitursächlich für den Fachkräftemangel in Deutschland ist, wenn der studierte Mathematiker seine Funktion eben der Unfähigkeit zu komplexem Denken verdankte? Wie wäre mitteldeutschen Musikern begreiflich zu machen, daß ihr jahrelanges Beharren auf verkrusteter Organisations- und Tarifstruktur mitursächlich für den maroden Zustand ihrer Institutionen ist? Wer Wahlversprechen von Politikern Glauben schenkte, denen er womöglich selbst die Stimme lieh, um nach der Wahl deren kurzsichtiges Handeln zu beklagen - wie soll man dem die Töne seiner Stimme glauben?

Beglaubigen kann den Protest nicht ein lauwarmes Grußwort des prominenten Leipziger Cellospielers Wolfgang Tiefensee im Beiheft, der für das Projekt die Schirmherrschaft übernahm, weil sie ihn nichts kostet. Beglaubigen kann den Protest nur der Nachweis der Unersetzbarkeit dessen, was zerstört werden soll.

Die eine der beiden Ersteinspielungen auf der CD, "Starfish" des Meininger Solocellisten Sebastian Keen, ist ein unverbindliches Encore, die andere, "Images & Shadows" des Berliner Komponisten Christian Jost, die sich an die Filmmusik von Nino Rota anlehnt, ist um eine mafiotische Verbindung zwischen den Möglichkeiten des Instruments, den Fertigkeiten der Spieler und den Hörgewohnheiten der Zuhörer bemüht.

"Geduld, mein Herz. Im Kreise geht die Reise." Eine Kammermusikvereinigung, die sich aus politischem Anlaß gegründet hat und mit einer politischen Botschaft im Gepäck auf Tournee geht, wird aus keinem anderen als dem inneren Anlaß bestehenbleiben, miteinander musizieren zu wollen und zu können! Es ist an den "12 Thüringer Cellisten" und ihrem Künstlerischen Leiter Lukas Dreyer, ein gewichtiges Argument zu entkräften, das dem willigen Vollstrecker Goebel in die Hände spielt: Mittelmaß.

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