© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/08 18. Januar 2008

Ein Fliegerheld im Aufwind
US-Vorwahlkampf: John McCain stößt auf Skepsis bei den Evangelikalen und den Wirtschaftsliberalen
Elliot Neaman

In den Medien wurde John McCains Sieg über den Favoriten Mitt Romney in der ersten Vorwahlrunde des US-Präsidentschaftswahlkampfs in New Hampshire mit 37 zu 32 Prozent als unliebsame Überraschung gehandelt. Wer jedoch die Geschichte des kleinen neuenglischen Bundesstaats kennt, sollte sich davon nicht aus der Fassung bringen lassen. Denn John Sidney McCain III war dort schon 2000 gegen George W. Bush siegreich - und unterlag bei den nächsten Vorwahlen in South Carolina, nachdem dessen Wahlkampfteam unter Leitung von Lee Atwater eine der schmutzigsten Kampagnen aufzog, die je ein republikanischer Politiker gegen einen Parteifreund führte.

Die Fernsehspots, mit denen Atwater in South Carolina für seinen Chef warb, nahmen die Medikamentensucht von McCains Frau aufs Korn und deuteten an, der bisweilen ruppige Senator aus Arizona sei psychisch labil. Überdies streuten Bushs Wahlkämpfer Gerüchte, McCain habe ein uneheliches Kind mit einer Afro-Amerikanerin. Am "Super-Dienstag", den 7. März 2000 verlor er neun von dreizehn Staaten an Bush und zog sich aus dem Rennen zurück.

Die Wähler in New Hampshire, wo man sich traditionell einer unabhängigen Gesinnung brüstet, blieben ihm diesmal treu, und auch bei liberalen Wechselwählern fand McCain Anklang. Aus diesem Sieg allzu viele Schlüsse für den weiteren Verlauf des Nominierungsverfahrens zu ziehen, wäre jedoch übereilt. Was McCain mit New Hampshire verbindet und den dortigen Wählern sympathisch macht, ist der Stolz darauf, aus dem Rahmen zu fallen. Anders als die konservativen Farmer in Iowa, die wenige Tage zuvor Mike Huckabee den Vorzug gegeben hatten, ist New Hampshire libertär geprägt. Das Motto auf den dort vergebenen Autokennzeichen lautet "Live free or die": Freiheit oder Tod. Eine Anschnallpflicht gibt es ebensowenig wie eine Kfz-Versicherungspflicht, und bis vor kurzem wurden die meisten lokalen Angelegenheiten ähnlich wie in kleinen Schweizer Kantonen durch Bürgerversammlungen geregelt. In Nevada, wo als nächstes Vorwahlen anstehen, weht ebenso wie in Michigan, wo am Dienstag abgestimmt wurde, ein völlig anderer Wind, so daß auch der Umfragebonus, den McCains Sieg ihm zunächst bescherte, letztlich nicht viel heißen muß - am Montag dieser Woche führte er landesweit laut dem Fernsehsender ABC mit 28 Prozent, laut der New York Times gar mit 33 Prozent.

Bei aller gebotenen Vorsicht und ungeachtet des Ergebnisses von Michigan stehen McCains Aussichten freilich sehr viel besser als vor wenigen Monaten. Der ursprüngliche Favorit Rudolph Giuliani hat viel mit der Entscheidung aufs Spiel gesetzt, seine Wahlkampfressourcen für die Vorwahlen in Flächenstaaten wie Florida, New York und Kalifornien zu schonen. Zwar könnte er dort im Falle eines Sieges weit mehr Delegierte für sich verbuchen, dafür verzichtete er jedoch auf die Chance, vom Medienrummel um die frühen Vorwahlen zu profitieren. Unterschätzen darf man ihn indes nicht - wenn es zu einem Unentschieden zwischen den übrigen Bewerbern kommt, könnte Giuliani durchaus den Hauptpreis davontragen. Derweil hat Romney Millionen in den Wahlkampf in Iowa und New Hampshire gepumpt und wurde beidesmal nur Zweiter. Huckabee, der redegewandte Baptist aus Arkansas (JF 2/08), befindet sich weiter im Aufwind, allerdings muß er erst noch beweisen, daß er auch in Flächenstaaten mit einem höheren Wohlstands- und Bildungsniveau und einem größeren Anteil an säkularen Wählern siegen kann.

Woraus erklärt sich McCains Aufschwung? Wie sieht sein politisches Programm, wie sähe eine McCain-Präsidentschaft aus? Betrachten wir zunächst den weiteren Kontext des Vorwahlkampfes, der sich nun auf den entscheidenden "Tsunami Tuesday" am 5. Februar zubewegt, an dem 24 Bundesstaaten Vorwahlen abhalten werden. Darunter sind auch die beiden größten, New York und Kalifornien. Zwar will die Mehrheit der Amerikaner die Soldaten weiterhin heimholen, doch ist der Irak-Krieg nicht länger das Thema Nummer eins. Durch die Aufstockung der Truppen scheint es gelungen zu sein, der Gewalt weitgehend Herr zu werden - kein Grund für Freudensprünge, doch hat Bush offenbar auf die richtige Karte gesetzt. Daß die Sunniten nun ihrerseits gegen die häufig aus dem Ausland eingeschleusten al-Qaida-Kämpfer zu den Waffen greifen, die ihr Land einem islamistischen Regime zu unterwerfen trachten, bedeutet einen Rückschlag für die Terrororganisation. Die Provinz Anbar, die bis vor kurzem zu den gefährlichsten irakischen Gebieten zählte, gilt nun als relativ sicher, die US-Besatzungsmacht hat dort die Herrschaft bereits an die Zentralregierung in Bagdad übergeben.

McCain hatte eine derartige Aufstockung des Kriegseinsatzes gefordert, lange bevor Bush sich dafür entschied, und kann sich nun im Glanz dieses Erfolges sonnen. In New Hampshire zählten Wähler, die Fragen der globalen Sicherheit eine sehr große Bedeutung zumaßen, zu seinen stärksten Unterstützern, und zwar unabhängig davon, ob sie sich für oder gegen den Irak-Krieg aussprachen. Vermutlich liegt das daran, daß der hochdekorierte Marineflieger, der fünf Jahre in vietnamesischer Kriegsgefangenschaft verbrachte, in verteidigungspolitischen Fragen stets als Falke galt und sich jahrelang mit den Problemen rund um die Rückführung gefangengenommener und vermißter Soldaten beschäftigt hat, im Vergleich zu außenpolitisch unerfahrenen Bewerbern wie Romney, Giuliani oder Huckabee auf diesem Gebiet als Schwergewicht wahrgenommen wird. Die Fragen, die die Wähler derzeit am meisten umtreiben, sind jedoch ökonomischer Natur - kein Wunder angesichts einer drohenden Rezession, steigender Kosten im Gesundheitswesen und der geplatzten Immobilienblase, die viele US-Bürger mit günstigen Krediten und der Möglichkeit, Hypotheken aufzunehmen, finanziell über Wasser gehalten hat.

McCain ist kein Wirtschaftsexperte und hat sich nie als solcher ausgegeben. Doch sitzt er nicht nur im wehrpolitischen Ausschuß des Senats, sondern seit 1987 auch im Handelsausschuß, wo er sich für sparsame Haushalte und eine Wahlkampffinanzierungsreform stark machte. Er entspricht ganz dem Bild des konventionellen Reagan-Konservativen, der bestimmte Steuersenkungen, Deregulierung und Haushaltskürzungen fordert.

Allerdings geht aus einem neuen Buch des renommierten konservativen Strategen David Frum hervor, daß ein solches Programm heute bei den Wählern an Popularität verloren hat. Alle anderen republikanischen Bewerber schneiden ihre Botschaft mittlerweile auf die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und die Sorge um stagnierende Löhne und Gehälter in mittleren Einkommensschichten zu. Mit seinem Ruf als Außenseiter könnte es McCain jedoch am besten gelingen, sich als Fiskalkonservativer neuen Stils zu verkaufen.

Unter einem Präsidenten McCain würde eine andere Stimmung herrschen als die Bunker-Mentalität, Starrheit und religiöse Prägung der Bush/Cheney-Jahre. Anders als Bush hätte McCain keine Bringschuld gegenüber der christlichen Rechten. Im Gegenteil mag sich das tiefe Mißtrauen evangelikaler US-Bürger, denen seine offene Fehde mit Paul Weydrich, dem Mitbegründer der ultrakonservativen Moral Majority, von 1989 ebenso im Gedächtnis geblieben ist wie seine scharfe Kritik an den führenden Konservativen Jerry Falwell und Pat Robertson im Wahlkampf 2000, noch als seine politische Achillessehne erweisen.

Daß McCain nicht alle Steuersenkungen der Bush-Regierung guthieß, veranlaßte den "Reagonomics"-Guru und Ex-Chef des einflußreichen wirtschaftsliberalen Netzwerks "Club for Growth" Stephen Moore zu der Äußerung: "Unsere Mitglieder verabscheuen John McCain". Auch mit seinem prinzipientreuen Eintreten gegen den Einsatz von Folter in CIA- oder Militärgefängnissen im Zuge des "Kriegs gegen den Terror" machte McCain sich bei der Bush-Regierung unbeliebt.

Derzeit wünscht sich laut Umfragen eine überwältigende Mehrheit der Demokraten sowie immerhin die Hälfte der republikanischen Wähler eine völlig andere Politik, als sie die Regierung Bush/Cheney in den vergangenen acht Jahren machte. Aus diesem Grund haben sich sämtliche Kandidaten eine Politikwende auf die Fahnen geschrieben. Dank seines Rufs als jemand, der Klartext redet und sich nicht scheut, den geheiligten Doktrinen seiner Partei zu widersprechen, hat McCain womöglich die besten Aussichten, ebendiese Wähler für sich einzunehmen. Aber er ist 71 Jahre alt und seit einem Vierteljahrhundert in die Washingtoner Politik involviert. Wenn die Republikaner wirklich keinen überzeugenderen "Aufbruch"-Kandidaten aufbieten können, scheint ein demokratischer Sieg im November immer wahrscheinlicher.

 

Prof. Dr. Elliot Neaman lehrt Neuere europäische Geschichte an der University of San Francisco.

Foto: John McCain im Wahlkampf: Kein Freund von George W. Bush

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