© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/08 11. Januar 2008

Zwischen Bauhaus und "Hitlers Hitparade": Oliver Axers kleines Ladenlokal
Deutsche Moderne
Christoph Martinkat

In Berlins historischer Mitte, entlang der Georgenstraße - die den Bahnhof Friedrichstraße mit der Museumsinsel verbindet - finden sich in den Stadtbahn-Bögen eine Reihe kleiner, aber feiner Kunst-, Design- und Antiquitätenläden. Gastronomie und Einzelhändler im Stadtbahnviadukt, über deren Gewölbe seit 125 Jahren der S-Bahn-Verkehr hinweggeht, machen das einmalige Ambiente dieses Ortes aus. Ein kleiner Laden läßt die Passanten aufmerken. Er heißt "Deutsche Moderne". Sein Sortiment ist erlesen. Es konzentriert sich auf Designobjekte - Lampen, Vasen, Uhren, Mobiliar - der deutschen Moderne von 1925 bis Anfang der 1950er.

Mit dem Namen seines Lokals und der Zeitspanne seiner Sammeltätigkeit sorgt Inhaber Oliver Axer für Aufsehen und zuweilen für Irritationen. Eine deutsche Moderne, die die "dunklen Jahre von 1933 bis 1945" mit einschließt, gab es die denn? Die gab es, wie der Diplomdesigner und Kunsthändler anhand seiner Exponate beweist. "Wir sind dazu erzogen worden zu glauben, die Moderne sei in Deutschland 1933 abgebrochen", sagt Axer, doch das stimme einfach nicht.

Der Mann weiß, wovon er redet. Immerhin ist er nicht nur ein ausgewiesener Kenner von Designobjekten der klassischen Moderne, sondern auch ein Musik- und Filmliebhaber jener Zeitspanne. Er hat eigens ein kleines Musik­label gegründet, dessen Schwerpunkt auf deutscher Unterhaltungsmusik der 1930er und 1940er Jahre liegt. Seine 13 CDs umfassende Kollektion mit moderner Tanzmusik aus dem Dritten Reich, die er auf seiner Internetseite www. deutsche-moderne.de als "elegante Volksmoderne von leicht biederer Reduziertheit" definiert, hat es in den Internet- und traditionellen Handel geschafft, etwa in das Kulturkaufhaus Dussmann direkt nebenan.

Einer weiteren seiner Produktionen war dieses Glück nicht beschieden. Gemeint ist die Filmcollage "Hitlers Hitparade", an der Axer mit Freunden jahrelang arbeitete. Der Film hat die öffentliche Frage über den politisch korrekten Umgang mit der Geschichte des Dritten Reichs erneut entfacht. Doch nicht dieser Umstand wurde ihm zum Verhängnis, sondern die Tatsache, daß bei der Vielzahl der verwendeten Filmsequenzen und Musikeinspielungen die Rechteinhaber nicht zu bezahlen waren. Zwar wurde "Hitlers Hitparade" auf einigen Festivals im In- und Ausland gezeigt, bekam 2005 gar den Grimme-Preis. Doch dann verschwand er endgültig von der Leinwand.

Dabei gab die Grimme-Preis-Jury auf ihre rhetorische Eingangsfrage: "Darf man das? Vom 'Dritten Reich' erzählen, ohne sich vor allem auf Auschwitz, die Gestapo, den Krieg zu konzentrieren? Darf man statt dessen die Unterhaltungsmusik der Zeit auflegen und dazu einen meist fröhlichen Bilderbogen von Werbe-, Propaganda-, Trick-, Amateur- und Spielfilmen der Zeit zeigen?" - zumal die Collage auf die obligatorische Belehrung mittels eingesprochener Kommentierung verzichtete - eine einfache wie couragierte Antwort: Ja, man darf. "Womöglich muß man es sogar." Eine Antwort, die Jahre früher wohl noch ganz anders ausgefallen wäre, wie der Start des Langzeitprojekts bewies. "Anfänglich", erinnert sich Axer, "wurden wir bei unserer Recherche massiv behindert." Das sei zum Teil so weit gegangen, daß Archive bestimmen wollten, welches Material im Film verwendet werden sollte und welches nicht.

Was folgte, war ein jahrelanger Kampf, in dem Filmförderungsanstalten und TV-Redaktionen von "Hitlers Hitparade" - die dem Betrachter keine vorgefertigte Botschaft über die NS-Zeit unterjubeln, sondern lediglich ein "Sittenbild einer modernen Zivilisation" zeigen und zur freien Einschätzung überlassen wollte - überzeugt werden mußten. Ende 2002 kam es schließlich zu einem TV-Vertrag. Das Budget des Films lag bei 220.000 Euro, davon brachten die Filmemacher 30. 000 Euro selber auf. Damit konnten die Rechte für eine Ausstrahlung auf Arte sowie zwei Wiederholungen bezahlt werden. Das war es dann aber auch.

Das Interesse an dem ungewöhnlichen Film ist weiterhin ungebrochen, wie stete Anfragen sowie der rege Internethandel mit Raubkopien beweisen. Doch für die Rechte einer weltweiten Verwertung wären mehr als eine Million Euro zu berappen - Geld, das niemand an dieser Stelle aufbringen will.

So muß man mit Axers CD-Kollektion und seinen Exponaten vorliebnehmen. In beiden spürt man noch den Hauch der "Modernität und Mondänität" alter Revue-Filme aus der UFA-Zeit. Zwischen Kienzle-Tischuhr, Wagenfeld-Vase und der Leuchte von Sistrah Licht wird einem schlagartig klar, wie wenig man eigentlich heute noch über die deutsche Moderne und vor allem das Lebensgefühl weiß, das sich mit ihr verband.

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