© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/08 11. Januar 2008

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Wissenslücken
Karl Heinzen

Die fatalistische Binsenweisheit, daß die Sieger nicht nur siegen, sondern den Unterlegenen auch noch ihr Geschichtsbild aufoktroyieren, kann keine universale Gültigkeit beanspruchen. Zumindest das Bundesland Brandenburg darf als Ausnahme gelten. Hier teilen nämlich, wie eine Untersuchung von Wissenschaftlern der Freien Universität Berlin herausgefunden hat, gerade einmal 48,6 Prozent der 16- und 17jährigen Schüler die Auffassung, daß es sich bei der DDR um eine Diktatur gehandelt hat. Ein Viertel der Befragten stimmte sogar explizit der These zu, daß man sich in ihr halt bloß wie überall ein bißchen anpassen mußte.

Immerhin äußerten lediglich knapp unter 40 Prozent die Meinung, daß die alte Bundesrepublik vor 1989 auch nicht besser gewesen sei als die DDR. Die enthusiastische Freude der Altvorderen über den gelungenen Regimewechsel und den folgenden Anschluß an Westdeutschland stößt bei den Heranwachsenden von heute somit nicht auf völliges Unverständnis.

Der Leiter des Berliner Forscherteams, Klaus Schröder, hat die Ergebnisse der Untersuchung erwartungsgemäß zum Anlaß genommen, mahnend den Finger zu erheben. In den Familien, so seine Schelte, werde die DDR sozialromantisch verklärt. Dagegen kämen die Schulen, in denen zudem ja noch immer so viele Altkader ihr Unwesen trieben, nicht an. Und überhaupt sei natürlich auch der Bildungspolitik ein gutes Stück der Schuld an der Desorientierung der Schüler zuzusprechen.

Der Aufregung, die Schröder zur Schau stellt, ist jedoch allein ein Produkt seiner eigenen Engstirnigkeit. Als Politikwissenschaftler gebietet es sein Berufsethos, Bildungsstoff, der für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft eigentlich entbehrlich ist, als ganz furchtbar wichtig darzustellen. Natürlich kann man sich als arrivierter Akademiker mit Pensionsanspruch darüber mokieren oder auch amüsieren, daß 30 Prozent der Brandenburger Jugendlichen Konrad Adenauer und Willy Brandt für DDR-Politiker halten. Was würde es ihnen aber nützen, wenn sie hier um die Wahrheit wüßten? Brächte ihnen dies, wenn sie nicht gerade Historiker oder Politologen werden wollen, etwas für ihr späteres Berufsleben? Welcher Arbeitgeber wird in einem Einstellungsgespräch derartige Kenntnisse prüfen wollen?

Anstatt die sowieso schon stark geforderte junge Generation mit noch mehr Bildungsblabla zu belasten, sollte man sich über diese historische Wissenslücke eher freuen: Es ist doch eigentlich sehr schön, wenn die unselige DDR allmählich in Vergessenheit gerät.

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