© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/08 11. Januar 2008

Ein Magnet in den Alpen
Österreich: Bundesdeutsche bleiben größte Zuwanderergruppe / 2007 brachte neuerlichen Anstieg der Zuwanderung nach Europa / Integrationsprobleme
Michael Howanietz

Die Quintessenz des Zweiten Migrations- und Integrationsberichts der Akademie der Wissenschaften lautet: Österreich ist ein Einwanderungsland! Tatsächlich erhob die auf Daten der Statistik Austria basierende Studie Migrationsbewegungen, nicht aber Integrationsbereitschaft und -fähigkeit der Zuwanderer, die sich schwerlich in nüchterne Zahlen kleiden lassen.

Die durchschnittliche Nettozuwanderung nach Österreich betrug 2002 bis 2005 jährlich 42.400 Personen. Der Wanderungssaldo ergibt sich aus 118.000 Zuzügen und 75.600 Wegzügen. Mit über 27.000 Personen stellen Nicht-EU-Bürger die größte Zuwanderergruppe. Unter den 15.000 jährlich nach Österreich zuwandernden EU-Bürgern stellt Deutschland den größten Anteil: 2005 waren es 9.402, 2006  9.076 Personen.

Für 2007 läßt sich nach dem Rückgang des Vorjahressaldos auf 27.477 (5.003 Österreicher verließen ihre Heimat, 32.480 Zuwanderer) ein neuerlicher Anstieg der Nettozuwanderung feststellen. Die Mutation des ursprünglichen Gastarbeitersystems zur permanenten Zuwanderung wird damit verstetigt. Hieraus den Begriff "Einwanderungsland" ableiten und als übersprachlichen Bestandteil des Staatsverständnisses etablieren zu wollen, bleibt aber nicht unwidersprochen.

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache befindet, Zuwanderung sei kein Naturgesetz, sondern Ausdruck des politischen Willens. Besonders im Asylrecht ortet der Oppositionsführer markante Defizite, welche die von großkoalitionärer Regierungsseite beschworene Integration ad absurdum führten. Die Hege von "Scheinasylanten" durch Anwälte und eine millionenschwere "Asylindustrie" sowie 13.195 im Jahr 2006 straffällig gewordene Asylwerber seien keine Belege für Integration.

Davon unbenommen steigt die Zahl der Asylanträge in Österreich und europaweit. Hauptgrund ist der Irak-Krieg. Seit Beginn der US-Invasion im Frühjahr 2003 haben laut der Uno-Flüchtlingsbehörde UNHCR knapp fünf Millionen Iraker ihren Wohnort verlassen. Während 2,3 Millionen in Notquartieren im Land leben, ist die Aufnahmekapazität der Nachbarstaaten mit 2,4 Millionen Flüchtlingen erschöpft. Folglich stellt eine steigende Zahl von Irakern Asylanträge in der EU. 2006 waren es insgesamt 20.000. Dagegen beantragten nur 535 Iraker in den USA Asyl.

Hauptadressat ist Schweden, das mit 8.950 Personen bislang 60 Prozent des kriegsbedingten Flüchtlingsstroms aufnahm, was für massive Probleme sorgt. So weisen 6.000 der 70.000 Einwohner der Stadt Södertälje irakische Wurzeln auf. 2.000 weitere Iraker kamen 2007 hinzu.

Die EU-Ministerkollegen des schwedischen Migrationsministers Tobias Billström  zeigen indes wenig Bereitschaft, dem Land zur Seite zu stehen. Die EU plant statt dessen finanzielle Unterstützungen für die Nachbarländer des Irak, um die Flüchtlinge in der Region zu belassen - ein Plan, der Christian Robergh vom schwedischen EU-Projekt Asyl und Integration gefallen müßte. Immerhin bestätigt dieser, daß das vielgelobte schwedische System den Realitäten nicht standhält. Der Unterschied zwischen formalen Regeln und der Wirklichkeit sei enorm. Es nütze wenig, wenn Flüchtlinge theoretisch in Schweden arbeiten dürften, von 15.000 Flüchtlingen laut Einwanderungsbehörde aber nur 301 tatsächlich Arbeit gefunden hätten.

Einen Erklärungsansatz könnte der International Migration Outlook 2007 der OECD liefern, besagt er doch nichts anderes als die klare Unterscheidbarkeit von Zuwandererbewegungen (JF 30/07). Während qualifizierte Migranten bevorzugt im anglo-amerikanischen Raum Aufnahme fänden, bleibe besonders für Mitteleuropa das große Heer der minder bis nicht Qualifizierten übrig.

Daran freilich können substanzlose Migrationsberichte nichts ändern. Schon gar nicht auf den Kopf gestellte Argumentationsketten, die aus politischem Kalkül Ursache und Wirkung vertauschen. So veröffentlichte die Statistik Austria eine Bevölkerungsprognose, die Österreich 9,5 Millionen Einwohner für 2050 in Aussicht stellte (aktuell 8,1 Millionen). Begründung: massive Zuwanderung. Der Vizegeneralsekretär der Wirtschaftskammer Österreich, Reinhold Mitterlehner (ÖVP), nahm dies zum Anlaß, die 9,5 Millionen als feste Größe vorzuschreiben und zu folgern: Ohne Zuwanderung werden wir das nicht schaffen. Wer wachsendem Migrationsdruck auf diesem Niveau begegnet, will und wird Integrationsprobleme nicht lösen.

Heinz Fassmann (Hrsg.): 2. Österreichischer Migrations- und Integrationsbericht 2001-2006. Drava-Verlag, Klagenfurt 2007, 472 Seiten, broschiert, 29,50 Euro. Kurzfassung im Internet:  www.oeaw.ac.at

 

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