© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/08 11. Januar 2008

Deutschlandweite Aufmerksamkeit
Hessen: Debatte um Jugendgewalt befeuert Wahlkampf / Hessischer Rundfunk unterliegt im Streit um Werbefilm der NPD
Tobias Westphal

An den Bierbänken, Sonnenschirmen und windigen Zelten in den Fußgängerzonen erkennt man, daß der Landtagswahlkampf in Hessen jetzt richtig angelaufen ist. Vor allem an den Wahlkampfständen der SPD, der CDU, der Grünen, der Freien Wähler und der FDP können sich die Bürger erklären lassen, warum sie ihre Stimme am 27. Januar 2008 für die jeweilige Partei abgeben sollen. Derzeit droht laut Umfragen ein Patt zwischen den bürgerlichen und den linken Parteien.

Am Stand der SPD sammeln Jusos und Gewerkschafter Unterschriften für den Mindestlohn, beim Wahlkampf-Zelt der CDU diskutieren Bürger über Kriminalität und was man dagegen tun könne. Die Grünen sind - auch in Hessen - immer noch gegen Atomstrom, die Freien Wähler verteilen an Interessierte Getränke und fallen vor allem durch die wenigen Infoblätter im Vergleich zur Konkurrenz auf. Die FDP hofft auf den mündigen Bürger und setzt sich gegen das Rauchverbot in den Gaststätten ein, der Wirt und der Gast sollten darüber selber entscheiden dürfen.

Doch nicht nur das politische Fußvolk kämpft um Stimmen. Auch die Parteienprominenz macht Stimmung und hofft dadurch auf Wählerstimmen. Nachdem der hessische Ministerpräsident Roland Koch nach der Gewalttat zweier ausländischer Jugendlicher in der Münchner U-Bahn gesagt hatte, es gebe "zu viele kriminelle junge Ausländer", zog ein Sturm der Entrüstung auf.

Seine Gegenkandidatin Andrea Ypsilanti (SPD) blieb auffallend stumm, dafür wurden die Töne um sie herum immer lauter. Der Generalsekretär der Hessen-SPD, Norbert Schmitt, sagte im Hinblick auf Koch, daß dieser für "das Verbreiten von Pogromstimmung" die Verantwortung trage.

Unterstützung bekam er von seinem Amtskollegen auf Bundesebene, Hubertus Heil, der den hessischen Ministerpräsidenten als Versager in Sachen Sicherheitspolitik bezeichnete. Denn in seiner Regierungszeit in Hessen habe Koch "bei Polizei, Justiz, Bildung und Jugendhilfe massiv gekürzt", sagte Heil gegenüber der Frankfurter Rundschau. Deswegen sei er "kein schwarzer Sheriff, sondern ein prinzipienloser politischer Wiederholungstäter". Dem widersprach unmittelbar der hessische Regierungssprecher Dirk Metz. Die Aufklärungsquote sei in Hessen kontinuierlich auf zuletzt 55,1 Prozent gestiegen, während die Zahl der Straftaten pro Jahr um 20.000 zurückgegangen sei. Zudem verfüge Hessen heute über die bestbezahlte, bestausgebildete und bestausgestattete Polizei in Deutschland.

Widerspruch kommt auch von Koch. Er wehrt sich gegen die Vorwürfe, ein Populist zu sein. Gegenüber dem
Tagesspiegel sagte er: "Ich bin ein Politiker, der Wert darauf legt, daß in politischen Auseinandersetzungen auch das zu Wort kommt, was die Mehrheit der Menschen denkt." Natürlich gebe es Regeln des Anstands, "und die gelten auch im Wahlkampf. Aber das sind nicht die Regeln der sogenannten Political Correctness."

Trotz der Diskussion um Ausländerkriminalität möchte die SPD in Hessen im Wahlkampf weiter auf die Themen Bildung, Mindestlohn und Energiewende setzen. "Die SPD hat es nicht nötig, Politik mit Angst zu machen - wir machen Politik mit Hoffnung", sagte die Spitzenkandidatin Ypsilanti beim Neujahrsempfang der SPD in Wetzlar.

Etwas anderes ist für die Genossen jedoch auch schwer möglich, immerhin haben sie sich mit der Unterschriftensammlung für einen Mindestlohn thematisch festgelegt. Nahezu unbemerkt sammelt allerdings die Linkspartei bereits seit November ebenfalls Unterschriften für einen Mindestlohn. Außer mit zahlreichen Plakaten ist die Linkspartei bisher nicht in Erscheinung getreten, immerhin wird sie jedoch zu regionalen Diskussionsveranstaltungen eingeladen.

Darauf können die Republikaner nicht hoffen. Diese haben vergangene Woche auch eine Unterschriftensammlung begonnen. Sie fordern, daß Ausländer, die wegen einer Straftat gegen das Leben, Körperverletzung oder Vergewaltigung verurteilt wurden, ohne Ausnahme ausgewiesen und nach Verbüßung ihrer Strafe in ihre Heimatländer abgeschoben werden.

Die NPD wiederum muß nicht so sehr einen Wahlkampf gegen andere Parteien als gegen den Hessischen Rundfunk (HR) führen. Dieser hatte sich geweigert, einen Wahlwerbefilm der NPD zu senden. Das Frankfurter Verwaltungsgericht gab dem HR zunächst recht, der Hessische Verwaltungsgerichtshof gab jedoch der Beschwerde des NPD-Landesverbandes statt. Damit ist der Hessische Rundfunk verpflichtet, den TV-Wahlwerbespot auszustrahlen.

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