© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 52/07-01/08 21./28. Dezember 2007

Ein "heiliges Jahr der Deutschen"
Ende 1932 rief Kardinal Innitzer zum Allgemeinen Deutschen Katholikentag in Wien auf
Manfred Müller

Arbeitslosigkeit, Hunger, Massenverelendung: Zur Jahreswende 1932/33 waren dies im Zeichen der Weltwirtschaftskrise neben den ständigen Meldungen über politische Ausschreitungen die dominierenden Themen in der Medienlandschaft. Auf den ersten Blick wollte die Neujahrsbotschaft, die der Wiener Erzbischof Innitzer über Rundfunk und Presse verbreiten ließ, nicht so recht dazu passen.

Theodor Kardinal Innitzer proklamierte ein "Heiliges Jahr der Deutschen" und verband dies mit einer Einladung: "Ihr lieben katholischen deutschen Brüder, wo immer ihr siedelt, im Deutschen Reich und Österreich, in Luxemburg und Danzig, als Volksgruppen in vielen Staaten Europas und der Übersee, euch alle lädt der Erzbischof von Wien zum Allgemeinen Deutschen Katholikentag, der vom 7. bis 12 September 1933 in Wien stattfindet, herzlichst ein." Dreißig Tage nach diesem Aufruf griff im Deutschen Reich der gebürtige Österreicher Adolf Hitler nach der Macht - im Zeichen des Hakenkreuzes, das zahlreiche Katholiken als ein neuheidnisches, antichristliches Emblem verstanden.

Pläne für einen solchen Katholikentag hatte es seit 1929 gegeben, durch Absprachen mit dem Zentralkomitee der Katholiken Deutschlands waren die nötigen Voraussetzungen geschaffen worden. Ein deutscher Katholikentag auf österreichischem Boden war keineswegs eine sensationelle Neuschöpfung. Solch eine "Generalversammlung der Katholiken Deutschlands" hatte es schon 1850 in Linz an der Donau gegeben. Es folgten deutsche Katholikentage 1853 in Wien, 1856 erneut in Linz, 1857 in Salzburg, 1860 im zweisprachigen Prag und 1867 (nach dem Deutschen Bruderkrieg von 1866) in Innsbruck.

Beim geplanten Wiener Katholikentag von 1933 wollte man auf 1683 zurückschauen: "Zweihundertfünfzig Jahre sind es her, seit sich in einem begeisterten Zusammenwirken von Kirche und christlichen Völkern an den Mauern von Wien der Türkensturm gebrochen hat und das Abendland und seine Kultur gerettet ward. Es ist mehr als billig, in der Zeit, in der neuer Sturm vom Osten droht, sich dieses Ereignisses und der Kräfte, die es geschaffen, zu erinnern." Zurückblicken wollte man auch auf 1433, als in Wien der Stephansturm am Dom vollendet wurde: "dieses ragende Symbol katholischer deutscher Kulturkraft".

Im Herbst 1933 fehlten die "Brüder aus dem Reich"

Aber der Blick ging keineswegs nur zurück. Das "Heilige Jahr der Deutschen" mit "Gebet, Arbeit und Anspannung aller Kräfte" schien notwendig zu sein, um große Gefahren vom deutschen Volk und vom Abendland abzuwenden. Innitzer deutete dies in seinem Fastenhirtenbrief an: "Wieder ist eine Zeit der Unruhe; ein revolutionäres Ringen nach neuen Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens erschüttert die Welt. (...) Alles weist darauf hin, daß der große Kampf der Zukunft in der Seele des deutschen Volkes entscheidend ausgetragen werden wird." Voller Pathos pries der Katholikentagsprospekt den Austragungsort: "Wien, das jahrhundertelang Hort und Heimat christlich deutschen Geistes, Herz und Mittelpunkt des glanzvollen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war, in dem auch andere Völker Heimat und Aufstieg fanden, Wien, das heute noch entgegen allem Firnis der Zeit katholisch ist und deutsch wie kaum eine andere Stadt auf Gottes Erdboden, dieses Wien ruft alle deutschen Stämme zu brüderlicher, festlich besinnlicher Gemeinschaft in seine Mauern."

Aber diese gepriesene Brüderlichkeit der "deutschen Stämme" wurde gerade 1933 politisch aufs äußerste gefährdet. Als Innitzer im September 1933 den Katholikentag eröffnete, fehlten die "Brüder aus dem Reich". Dort hatte Hitler eine ekstatische, mitunter pseudoreligiös getönte Aufbruchsstimmung mit all ihren Illusionen und Irrtümern erzeugt und seine Diktatur schon weitgehend gefestigt. In Österreich hatte der christlichsoziale Kanzler Engelbert Dollfuß damit begonnen, sein autoritäres Regime aufzurichten, das er als einen christlichen Gegenentwurf zum nationalsozialistischen Staat im Deutschen Reich ausgab und als eine Ausformung des "besseren Deutschtums" verstand.

Der diplomatisch-politische und wirtschaftliche Krieg beider Systeme hatte unter anderem durch die berüchtigte "Tausendmarksperre" - deutsche Staatsbürger mußten seit dem 27. Mai 1933 vor Antritt einer Reise nach Österreich eine Gebühr von tausend Reichsmark zahlen - dazu geführt, daß den reichsdeutschen Katholiken die Teilnahme am Allgemeinen Deutschen Katholikentag verwehrt war.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen