© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Sie bauten Deutschland wieder auf
Leserstimmen

In der Mondlandschaft

"Rama tama": So klang es aus allen Ecken der einstmals so schönen Stadt München, als ich nach Jahren wieder durch die Straßen ging - nein, stolperte - über Halden von Schutt und Steinen. Ich irrte durch diese Mondlandschaft, versuchte einzelne Straßen wiederzuerkennen, doch fand ich mich nicht mehr zurecht.

Aber auf den Schutthügeln standen sie: Frauen, Frauen ohne Zahl. Sie hoben die Ziegeln aus dem Staub, klopften und kratzten sie vom Mörtel frei und schichteten sie auf - ein kostbares Gut für eine neue Zukunft.

Und wenn ein Engel vom Himmel gestiegen wäre, gramgebeugt beim Anblick dieses Frevels, und er fragte erstaunt: Was tut ihr denn hier? Dann erklänge es im Chor, dieses fröhliche "Rama tama" (Räumen tun wir).

So erlebte ich meinen ersten Ausflug in die wiedergewonnene Freiheit in Frieden, dem langersehnten.

Traurig stolperte ich über den großen Friedhof, der als Zeugnis menschlicher Barbarei von dieser Stadt übrigblieb. München leuchtet, hieß es einmal - vor Jahren, vor Jahrzehnten? Und wer war ich, die sich inmitten von Staub und Schutt niederließ, das Gesicht dem Himmel, dem blauen, zugewandt, der unwandelbar den Hoffenden die ewige Heimat verspricht?

Ein Nichts, ohne ein Geringstes mein eigen zu nennen, ja ohne den Nachweis einer menschlichen Existenz, der Hölle nach einem unerforschlichen Ratschluß entkommen. Dem schweifenden Blick bot sich der unendliche Raum einer Steinwüste mit skurrilen Gebilden auf staubigen Hügeln. Ungehindert spielte der Wind, der große Baumeister, mit den Formen, hier eine Kante glättend, dort eine Spalte füllend.

Ob hier jemals ein Baum wachsen, eine Blume blühen würde?

Hochbegabte Männer verwandten viel Geist und Zeit darauf, zu beweisen, daß sie imstande sind, eine in Jahrhunderten aufgebaute Welt in Minuten in Schutt und Asche zu legen. Nun das große Werk vollbracht war, durfte das schwache und dumme Geschlecht der Frauen die Scherben wegräumen. Sie taten es ohne Aussicht auf Ruhm und Preise, sie machten einfach Ordnung. Sonst nichts. Nichts?       

Edith Hölzlein-Kadletz, München

 

Schweres Schuften

Meine Mutter war eine Trümmerfrau von der ersten Stunde an. Aus gutbürgerlichem Hause mit zwei Kindern war sie nie zuvor zur Berufsarbeit gezwungen. Aber als der Krieg zu Ende war, Mann mit Betrieb aus Berlin verlagert, beide Söhne in Gefangenschaft, kam die Stunde "Null".

Es war ein schweres Schuften beim Steineklopfen und Lorenschieben für 0,52 Reichsmark Stundenlohn (brutto), 48 Stunden die Woche, auch bei Wind und Wetter im Winter. Es gab kein Schlechtwettergeld, und jede Stunde Verdienstausfall schlug hart zu Buche. Gelaufen wurde zur Arbeitsstelle früh und abends (entweder gab es keine Fahrverbindungen, oder es ging um das Sparen des Fahrgelds). Die Kolleginnen kamen aus allen Kreisen; manche wurden zum Aufräumen gezwungen. Sühnemaßnahmen nannte man das, weil sie in irgendeiner "Organisation" gewesen waren. Vorteil waren die Schwerarbeiterlebensmittelkarten nach russischem Vorbild, die zur Frühstücks-und Mittagspause zu einer auf dem "Kanonenofen" gerösteten trockenen Brotscheibe verhalfen. Aber trotz  aller Not war das Berufsklima untereinander gut und hilfreich.

Mit bleibt der ewige Dank; daß mir meine Mutter - mit bei Kriegsende schwerkrankem Vater - nach meiner Heimkehr die Anfangsjahre meines Studiums ermöglichte.

Klaus Löffler, Berlin

 

Blutige Hände

Burg Stargard in Mecklenburg war die zweite Station unserer Flucht aus Elbing. Hier erlebten wir im April 1945 den Einmarsch der Russen. Die Stadt wurde dabei kaum zerstört. Lediglich das Rathaus war in Brand geschossen und zertrümmert worden. Die provisorische Stadtverwaltung organisierte sofort die Aufräumarbeiten. Dazu wurden ausschließlich Frauen herangezogen. Sie mußten zuerst den Mörtel von den Bausteinen abklopfen. Dann wurden sie sorgfältig aufgeschichtet. Unsere Mutter gehörte auch zu diesen Arbeiterinnen. Wenn sie abends heimkam, zeigte sie uns ihre blutigen Hände, denn es waren nicht für alle Frauen Handschuhe vorhanden. Mutter klagte dem Vorarbeiter ihre Rückenschmerzen und ihre zerschundenen Hände. Tatsächlich wurde sie schon nach einigen Tagen wieder entlassen.

Ernst Voigt, Delmenhorst

 

Bei Wind und Wetter

Ich war 16 Jahre alt, als ich 1950 in der Enttrümmerung Magdeburgs zu arbeiten begann. Ich lebte in Gutenswegen und habe jeden Tag den Weg nach Magdeburg in die Albert-Vater-Straße machen müssen. Von Gutenswegen bis Groß Ammensleben mußte ich immer zwei Kilometer laufen, denn es gab noch keine Busverbindung. Von Groß Ammensleben fuhr ich mit dem Zug bis Magdeburg. Die Enttrümmerungsarbeit verrichtete ich mit meiner Cousine. Wir mußten alle in Leistung arbeiten. Meine Cousine und ich waren sehr fleißig, wir wurden für unsere Arbeit gelobt. Die Arbeit war sehr schwer, wir mußten von 7 bis 16 Uhr enttrümmern. Wir haben die Steine mit der Pike losgeklopft, sie aus dem Schutt  herausgeholt und gestapelt. Außerdem haben wir bei Wind und Wetter die Loren mit Schutt beladen.

Es war allgemein eine schwere Zeit: Seit 1944 galt mein Vater als vermißt, meine oft kranke Mutter mußte ich unterstützen. Von meinem 14. Lebensjahr an habe ich 40 Jahre lang gearbeitet.

Erika Klein, Magdeburg

 

Studienvoraussetzung

Im Mai 1945 war ich 21 Jahre alt. Bereits vor Kriegsende war ich mit meiner Familie aus Oberschlesien in den Westen geflüchtet. Schlimm war die Flucht von Kattowitz über Cottbus - Berlin - Augsburg nach Freiburg. Meine Mutter kippte im überfüllten Zug um und wurde vom Roten Kreuz versorgt; meiner jüngeren Schwester wurde ständig übel usw. Zu essen: trockenes Brot im Köfferchen.

Und nun die "Trümmerfrau": Bedingung, um in Freiburg - das durch Luftangriffe am 27. November 1944 schwer beschädigt worden war - für das folgende Studiensemester zugelassen zu werden, war ein Trümmerdienst-Einsatz der Studenten. Wir mußten zum Beispiel Nägel aus Brettern reißen und diese wegtragen. Manchmal leistete ich auch Dienst in der Uni-Bibliothek.

Sehr anstrengend war das alles für mich nicht, weitaus weniger schlimm als die Arbeit der echten Trümmerfrauen, die ab Oktober 1945 Häuserschutt beseitigten mußten.

Marianne Heldmann, Bad Mergentheim

 

Trümmer bis 1950

Ich habe als Heranwachsender die Trümmerzeit in Frankfurt am Main erlebt. Im Jahre 1948 waren nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau erst sechs Prozent der Gesamttrümmermasse der Stadt beseitigt. Die immensen Trümmermengen wurden in den ersten Nachkriegsjahren langsam, aber stetig abgetragen. Eine städtische Gesellschaft, die Trümmerverwertungsgesellschaft (TVG), war für den Abtransport zuständig. Der Abtransport war für die Grundstückseigner kostenlos, der Schutt ging aber dann in das Eigentum der TVG über. Mit der Trümmerbahn ging der Schutt dann in die Nähe des Ostbahnhofs und wurde dort gelagert. In der angrenzenden Fabrikationsanlage wurde er sortiert, von Holz-, Glas- und Metallteilen befreit, zerkleinert, gesintert, mit Zement vermischt und zu Hohlblocksteinen verarbeitet. Ich habe als junger Mann bei der TVG gearbeitet. Zuerst am Fließband beim Aussortieren oben genannter Bestandteile. Später fuhr ich einige Zeit auf der Werkbahn, die die fertigen Steine zum Stapeln transportierte. Um etwas mehr zu verdienen, habe ich dann Steine gestapelt. Die Arbeit wurde im Akkord verrichtet. Die Vorgabe verlangte zwanzig Tonnen Steine in einer Schicht. Zeitweise wurde bei der TVG rund um die Uhr gearbeitet. Ich war damals stolz, daß ich wie die erwachsenen Arbeiter mein Soll im Akkord erfüllen konnte. Erst fünf Jahre nach dem Kriege waren alle Frankfurter Straßen von Trümmern befreit - wohlgemerkt nur die Straßen.

Klaus Walch, Frankfurt am Main

 

Notwendiges bergen

Im Mai 1945 war ich 21. Der Begriff "Trümmerfrauen" ist zu sehr eingeengt. Es waren die wenigsten Frauen oder Mädchen, die Ziegelsteine abgeklopft und aufgerichtet oder Schutt mit Schaufeln weggeräumt haben - in der Regel nur Zugänge. Trümmer und Schutt wurden oft schon unmittelbar nach den Bombenangriffen von Kriegsgefangenen, Baggern und Lastwägen geräumt. Am wichtigsten war immer, die Straßen wieder benutzbar zu machen. Viele Geschäfte öffneten in Kellerräumen - unter den Trümmern der Häuser. Studenten an der Universität München mußten vor dem Studium ein Jahr Ziegelsteine abklopfen und aufschichten (1945/1947). Das alles war nicht die Arbeit von sogenannten "Trümmerfrauen". Die suchten zunächst nur, was vom Hausrat noch verwertbar war, sie waren dann mehr damit beschäftigt, in den Notunterkünften die evakuierten Kinder wiederzuholen, um für Lebensmittel Schlange zu stehen, in den Wäldern nach Brennmaterial zu suchen und aufs Land zum Betteln zu fahren. Die Trümmer wurden allmählich auf die "Schuttberge" nördlich und südlich der Stadt abgeräumt.

Lore Köhler, München


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