© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Inmitten der Ruinen wieder Leben gestalten
Geschichtspolitik: Eine großartige nationale Kollektivleistung findet in der Eigenrefl exion der Deutschen nur am Rande statt
Christian Vollradt

Erdgrau und staubbedeckt wie die Ruinen Berlins, die ihre Arbeitsstätte sind, sehen die Frauen aus, die Tag für Tag acht Stunden lang in Akkordarbeit Loren mit Schutt füllen, auf primitiven Schienenwegen vorwärtsschieben und am Abladeplatz wieder auskippen." So schildert ein Zeitungsbericht aus dem Februar 1946 jenes Phänomen, das im historischen Gedächtnis der Deutschen untrennbar mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verbunden ist: die "Trümmerfrauen".

Weil Männer fehlten, wurden Frauen auch für besonders schwere körperliche Arbeit herangezogen. Die "Trümmerfrau", die offiziell unter der Bezeichnung "Hilfsarbeiterin im Baugewerbe" firmierte, wurde zu einem der Symbole für "Zusammenbruch", "Stunde Null", aber auch für "Wiederaufbau". Und das, obwohl sich weibliche Schwerarbeit nicht auf die Trümmerräumung beschränkte und nur eine Minderheit der in der Nachkriegszeit erwerbstätigen Frauen tatsächlich "auf dem Bau" tätig war. Denn die meisten waren in der Industrie oder der Landwirtschaft beschäftigt, auch dort vielfach in "Männerberufen". Obwohl sie schlechter bezahlt wurden als ihr männliches Pendant, bestand der "Vorteil" solch harter Arbeit für die Betreffenden darin, daß sie nur dadurch eine höhere Lebensmittelzuteilung bekommen konnten. Angesichts einer Hungerration von durchschnittlich 850 Kalorien im Juli 1945 für jeden Bewohner Berlins war solch eine Aufstockung überlebenswichtig.

Daß sich abweichend von den realen Zahlenverhältnissen ein bestimmtes Bild von "den" Trümmerfrauen - mit zerschlissenen Kleidern und Kopftuch vor Ruinen Steine klopfend - im kollektiven Gedächtnis herausgebildet hat, liegt unter anderem daran, daß gerade diese Frauen in den kriegszerstörten Städten besonders häufig fotografiert, ihre Arbeiten damit dokumentiert worden sind.

Der wahre Kern des Wortes "Trümmerfrau" ergibt sich jedoch ebenfalls aus der quantitativen Dominanz seiner beiden Bestandteile im Nachkriegsdeutschland: 400 Millionen Kubikmeter Trümmer bedeckten das Reichsgebiet, durchschnittlich waren zwanzig Prozent der vor dem Krieg vorhandenen Wohnungen zerstört. In zahlreichen Groß- und Mittelstädten lag über die Hälfte des Wohnraums in Trümmern, in Köln siebzig Prozent, in Paderborn sogar weit über neunzig Prozent. Am Beispiel von Darmstadt wird deutlich, wie langfristig sich die Zerstörung der Städte auswirkte und wie dringend der Bedarf an Arbeitskräften war: Fünf Jahre nach Kriegsende lag die Einwohnerzahl nur um 14 Prozent unter der des Jahres 1939, der Bestand der Wohngebäude und Wohnungen dagegen war noch um über fünfzig Prozent geringer als bei Kriegsausbruch.

Durchschnittlich kamen 1946 (in den drei Westzonen) auf 100 Männer 121 Frauen; besonders gravierend war dieses zahlenmäßige Ungleichgewicht gerade in den für die Erwerbsarbeit wesentlichen Altersstufen: Bei den 20- bis 30jährigen betrug das Verhältnis von Männern zu Frauen 100 zu 167, bei den bis 40jährigen 100 zu 151 und bei den bis 60jährigen noch 100 zu 129. In Berlin sollen 1946 im Durchschnitt statistisch sogar 170 Frauen auf 100 Männer gekommen sein.

Zwangsweise zur Trümmerbeseitigung wurden vor allem diejenigen - Männer und Frauen -  herangezogen, die als politisch belastet galten. In Einzelfällen geschah dies (in Österreich) mit der äußerlichen Stigmatisierung durch ein an der Kleidung angebrachtes Hakenkreuz. Aber auch solche "Strafarbeit durch ehemalige Parteigenossen" reichte zur Bewältigung der Aufgaben nicht aus. Der Karlsruher Oberbürgermeister setzte beispielsweise daher im Mai 1946 "Mindestleistungen zur Erfüllung der Ehrenpflicht" fest, die je nach Beschäftigungsgrad (und politischer Belastung) zwischen sieben und dreißig Arbeitstagen betragen konnten. Sein Aufruf zum freiwilligen Einsatz richtete sich noch ausdrücklich an die Männer. Doch von denen gab es nicht genug, die sich überhaupt hätten melden können.

"In Anbetracht des großen Mangels an tauglichen männlichen Arbeitskräften" hatte der Kontrollrat am 10. Juli 1946 das Gesetz Nr. 32 erlassen, welches die bisherigen Restriktionen bezüglich der Frauenarbeit aufhob: "Die zuständigen deutschen Behörden dürfen weibliche Arbeitskräfte bei Bau- und Wiederaufbauarbeiten einschließlich Aufräumungsarbeiten beschäftigen beziehungsweise ihre Beschäftigung genehmigen." Ältere gesetzliche Bestimmungen wie beispielsweise die Arbeitszeitordnung von 1938 waren damit ausdrücklich außer Kraft gesetzt worden.

Harte körperliche Arbeit, beengte Wohnverhältnisse, ein Mangel an allen wesentlichen Elementen der Grundversorgung wie Kleidung, Nahrung und Heizmaterial, dazu häufig die Sorge für minderjährige Kinder: Überbelastung und Erschöpfung der Frauen waren ein dominierendes Thema in der Betrachtung der sozialen Situation deutscher Familien in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Nicht selten waren auch innerfamiliäre Spannungen Folge dieser Notlage: Wenn außer der Arbeit noch Schwarzmarkt und Hamsterfahrten nicht viel Zeit für Erziehung zuließen, überdies der Ehemann beziehungsweise Vater abwesend war und die Heranwachsenden aufbegehrten. "Durch die Kriegs- und Zusammenbruchssituation bedingt, trugen dabei die Frauen die größte Last", heißt es dazu in einer sozialgeschichtlichen Darstellung. Die - in der Rückschau häufig belächelte - "Heile-Welt-Idylle" der fünfziger Jahre hat ihren Ursprung jedoch auch gerade in diesen Erlebnissen existentieller Not.

Um noch einmal das hessische Darmstadt als Beispiel anzuführen: Noch im Jahre 1950 wuchsen zehn Prozent aller Schulkinder (zwischen 1. und 8. Klasse) in der Stadt ohne Vater auf, weil dieser gestorben - meistens im Krieg gefallen - war; bei weiteren fünf Prozent war der  Vater aufgrund von Gefangenschaft abwesend oder galt als vermißt. Laut einer statistischen Erhebung waren in Hessen noch zu Beginn der fünfziger Jahre über die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen die einzigen (oder zumindest hauptsächlichen) Einkommensträger ihrer Familie.

Die eigentliche Zeit der Trümmerfrauen endete in den Westzonen mit der Währungsreform 1948 und der stetigen Rückkehr von immer mehr Männern aus der Kriegsgefangenschaft. Im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands mündete der organisierte Einsatz im 1951 gegründeten Nationalen Aufbauwerk (NAW) mit dem Ziel einer "Förderung der Initiative aller Werktätigen ... (zur) Unterstützung des Aufbaus". Erst Ende der sechziger Jahre beendete die Nationale Front der DDR das NAW und initiierte an seiner Statt den sozialistischen Wettbewerb "Schöner unsere Städte und Gemeinden - Mach mit!" Insgesamt blieben die bereits 1947 in der SBZ auftretenden massiven Engpässe auf dem Arbeitsmarkt ein großes ökonomisches Problem der späteren DDR; hier wurde dauerhafter als im Westen versucht, Frauen als Arbeitskraftreserven auch in männliche Berufsdomänen zu lenken. Nicht zuletzt aufgrund der massenhaften Abwanderung von Facharbeitern in die Bundesrepublik war die DDR aus ökonomischen Gründen auf die verstärkte Einbeziehung von Frauen in die Produktion angewiesen. Die von den Machthabern inszenierte Ehrung der Trümmerfrauen als "Aktivistinnen der ersten Stunde" des Sozialismus war insofern nur folgerichtig.

Eine Anerkennung der Arbeit jener Frauen, die "mit ihren bloßen Händen die Straßen von der Lebensgefahr befreit und die Trümmer aufgeräumt haben", forderte auf westdeutscher Seite im Bonner Bundestag 1949 die Berliner Abgeordnete Louise Schröder (SPD). Einzelne Trümmerfrauen wurden daraufhin stellvertretend bereits vom ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss mit staatlichen Auszeichnungen geehrt.

Bereits in den fünfziger Jahren wurden sowohl im Westen als auch im Osten der geteilten Stadt Berlin mehrere Denkmale oder Gedenksteine für die Trümmerfrauen errichtet. 1952 widmete auch die Stadt Dresden den Trümmerfrauen eine Denkmalsplastik an repräsentativer Stelle; in manchen westdeutschen Städten erfolgten solche Ehrungen auf Initiative privater Vereine. Noch bis in die Gegenwart hinein werden Trümmerfrauen-Denkmale errichtet.

In soziologischen Untersuchungen - beispielsweise in der 1954 erschienenen Monographie "Deutsche Familien nach dem Krieg" - erfuhr das harte Los der körperlich schwer arbeitenden und als Alleinversorger wirkenden Frauen eine frühzeitige Auswertung.

Die 1960 vom Bundesminister für Vertriebene herausgegebenen "Dokumente deutscher Kriegsschäden" befaßten sich in einem Abschnitt auch mit dem "heroischen Bemühen" derer, die "aus den Trümmern wieder Ordnung und Leben" gestalteten.

Wenn auch im Umfang unterschiedlich, erwähnen alle wesentlichen Darstellungen der deutschen "Geschichte ab 1945" das Wirken der Trümmerfrauen beim Wiederaufbau. Erwähnung fanden sie auch in der sogenannten "Trümmerliteratur" jener Jahre als ein typisches Phänomen der Zusammenbruchsgesellschaft. Genauso wie Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung waren auch die Frauen inmitten von Ruinen Teil des öffentlichen wie privaten Erinnerns in den fünfziger und frühen sechziger Jahren, ehe andere Schwerpunkte in der "Vergangenheitsbewältigung" gesetzt wurden.

Hauptsächlich in regional- oder lokalgeschichtlichen Schriften wurde dann wieder umfangreicher über die Tätigkeit der Frauen bei der Trümmerbeseitigung in den Städten berichtet, nicht selten in Verbindung mit Ausstellungen über die Kriegs- und Nachkriegszeit aus Anlaß entsprechender Jahrestage; dazu zählen beispielsweise Dokumentationen wie "Braunschweig im Zweiten Weltkrieg" (1985) oder "Stuttgart in den ersten Nachkriegsjahren" (1995). In den achtziger Jahren kamen neue Anstöße zur Erforschung des Trümmerfrauen-Daseins interessanterweise von feministischer Seite, wie zum Beispiel das von Beate Hoecker und Renate Meyer-Braun herausgegebene Buch "Bremerinnen bewältigen die Nachkriegszeit" (1988) zeigt. Ebenfalls 1988 erschien das auf Interviews mit fünf ehemaligen Trümmerfrauen aus Köln und Berlin basierende Taschenbuch "Steine gegen Brot" von Gabriele Jenk. Im selben Jahr gab Klaus-Jörg Ruhl seine Sozialgeschichte "Frauen in der Nachkriegszeit" heraus,

Eine der umfangreichsten Darstellungen entsprechender Frauenschicksale lieferte das (auf österreichische Verhältnisse bezogene) reich illustrierte Werk "Trümmerfrauen. Alltag zwischen Hamstern und Hoffen" von Franz Berger und Christiane Holler, das 1994 erschienen ist.

Fotos: Trümmerfrauen im zerstörten Hanau vor dem Denkmal der Gebrüder Grimm, Juni 1946: Erlebnisse existentieller Not; Wohnen in Notbehausungen, Arbeiten in Trümmern (o.li.), Völklingen 1945: Die Wohnungsnot, bedingt durch die Bombenzerstörungen, wurde in weiten Teilen Deutschlands durch den Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen aus den Ostgebieten noch verschärft. Verwertbares aus den Trümmerwüsten bergen (o.re.), München 1946: Auch wenn der schwungvolle Wiederaufbau erst nach der Währungsreform und der Rückkehr der meisten Kriegsgefangenen nach 1948 einsetzte, konnten die Trümmerfrauen einen wichtigen Impuls geben und die meist völlig zerstörten Innenstädte für den Wiederaufbau erschließen. Millionen Tonnen Schutt, die nicht mehr verwertet werden konnten, wurden auf die entstehenden Trümmerberge außerhalb der Städte verbracht. Jeder Ziegel ist für den Wiederaufbau notwendig (li.), Berlin 1947: Aufgrund des Facharbeitermangels war die Arbeit von "Aktivistinnen" beim Wiederaufbau in der DDR bis weit in die fünfziger Jahre notwendig.


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