© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Tiersympathie
Politische Zeichenlehre XXXVIII: Wolf
Karlheinz Weissmann

Nun ist schon wieder strittig, ob man in Rom tatsächlich jene Höhle gefunden hat, in der die Gründer Romulus und Remus verehrt wurden. Das bedeutet einen weiteren Schlag für die mythenträchtige Stadt, nach jenem anderen, dem die Authentizität der Kapitolinischen Wölfin zum Opfer fiel, deren berühmte Figur nicht antiken, sondern nur mittelalterlichen Ursprungs sein soll. Immerhin zeigt sie die sagenhaften Wolfskinder, wie man sie sich gemeinhin vorstellt: friedlich unter dem Bauch des Raubtiers, an dessen Zitzen saugend.

Die Wahl der Ersatzmutter war kein Zufall, sondern auf den Vater der Zwillinge, den Kriegsgott Mars, zurückzuführen, der mit dem Wolf als Emblem seines "wölfischen" Wesens auftrat. Die Römer haben das für ihre Zwecke zu nutzen gewußt und den Wolf in vielen Varianten als militärisches Symbol verwendet. Aus der Frühzeit der Stadt hatte sich ein Wolf als Legionsemblem erhalten, und es gab bis in die Kaiserzeit einen Truppenteil, die leichtbewaffneten velites, die mit Wolfsschädeln und herabhängendem Fell bekleidet waren; ähnlich drapiert war auch mancher Standartenträger. Die Vermutung liegt nahe, daß hier ein Zusammenhang mit den noch älteren Wolfsbünden bestand, die längst in Vergessenheit geraten waren, als Rom aus dem Dunkel der Geschichte ans Licht trat, deren bloßes Vorhandensein aber an ähnliche Gemeinschaften bei anderen indogermanischen Völkern erinnert.

Der Historiker Georg Scheibelreiter hat darauf hingewiesen, daß unter ihnen kein anderer Tiername so verbreitet war wie der des Wolfes, von dem vedischen vrka-deva (wahrscheinlich "Wolfsgott") über das griechische lykophron ("Wolfrat"), das keltische cunobellinus (wahrscheinlich Hund/Wolf des Belenos) bis zum germanischen Wolf, Wulf, Wolfgang, Wolfram, Wolfhart. Für die Namensgebung war nicht nur individuelle "Tiersympathie" (Otto Höfler) ausschlaggebend, also der Wunsch, die Eigenschaften eines bestimmten Tiers anzunehmen, sondern eine zentrale religiöse Vorstellung, zu der die rituelle Verwandlung in das betreffende Wesen gehörte.

Als "Werwölfe" bezeichnete man bis in die Neuzeit Menschen, die zu Wölfen werden konnten oder mußten. Das Spukhafte dieser Vorstellung wurzelt vielleicht in dem Auftreten von Einzelnen oder Gemeinschaften, die sich in Rausch versetzten, mit Fellen behängten und dann zu reißenden Bestien wurden. Von einer ganz positiven Wertung solcher Erscheinungen war auch die vorchristliche Kultur entfernt, obwohl nicht nur die Römer mit Mars, sondern auch die Griechen mit Zeus und Apollon Götter verehrten, die von Wölfen begleitet wurden. Vorherrschend war immer eine Mischung aus Verehrung und Grauen, wobei das Grauen überwog: Dem germanischen Gott Odin folgte zwar auch ein Wolf mit Namen "Freki", aber gleichzeitig glaubte man, daß in der Götterdämmerung ebenjener Gott von dem monströsen Fenris-Wolf verschlungen werde, und "Wolfszeit" war in der Edda eine Chiffre für das dunkle Weltalter, das Ragnarök vorangehen soll.

Das alles erklärt hinreichend, warum der Wolf nach der Christianisierung seine Symbolbedeutung fast vollständig einbüßte. Er galt nicht nur als heidnisches Zeichen, sondern als schlechthin böses. Eine Vorstellung, die sich in unseren Märchen deutlich erhalten hat, und selbst in der kriegerischen Emblematik Europas tauchte er nur vereinzelt auf.

Außerhalb des christlichen Kulturkreises sieht das anders aus. Vor allem die traditionelle Verehrung des Wolfes durch die Steppenvölker spielt hier eine Rolle. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben jedenfalls Tschetschenen und Ga­gausen Wolfsfahnen geführt. Die Gagausen gehören zu den Turkvölkern, die den Wolf seit alters als Totem betrachten, und in der Türkei machen nach wie vor die nationalistischen Grauen Wölfe von sich reden. Sie hängen einer "panturanischen" Ideologie an, die alle Turkvölker in einem Imperium vereinen will.

Offiziell wurde die Organisation 1980 verboten, aber das Symbol des Wolfes scheint dadurch wenig an Anziehungskraft eingebüßt zu haben. Das gilt auch für die Auslandstürken, wenngleich man in deren neuer Heimat die Zeichen nicht zu deuten weiß. Der eigentliche Sinn des Songs "Wolfszug" des Rappers $iki Pa - ein Bruder des unlängst auffällig gewordenen Muhabbet - scheint jedenfalls kaum jemandem aufgefallen zu sein: "Fürchtet um euer Hab und Gut / Werdet brennen im Feuer ... Pakt der Wölfe zieht mit dem Wolfszug / Blutiger Horizont, der Tod friedlich ruht".         

Die JF-Serie "Politische Zeichenlehre" des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.


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