© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 51/07 14. Dezember 2007

Pankraz,
A. Merkel und der Traum vom Oberlehrer

Allmählich wird es auffällig: Angela Merkel, die Herrin des Berliner Bundeskanzleramts, ist die Reinkarnation jenes "typisch deutschen Oberlehrers", über den sich die Staatsoberhäupter und Diplomaten rund um den Globus schon zu Kaisers Zeiten geärgert bzw. über den sie sich lustig gemacht haben. Das internationale politische Parkett wird unter Merkels Regie sichtbar zum Schulhof, die Gipfeltreffen zur Paukstunde, die Politik insgesamt zum FDJ-Lehrgang mit Zensuren am Ende zum Mitnachhausenehmen.

Kaum eine Woche vergeht mehr, in der Frau Merkel nicht auf Kongressen oder bei persönlichen Begegnungen mit den Großen dieser Welt den Zeigefinger hebt, irgend etwas anmahnt oder den Kollegen die Leviten liest. Ihre neueste kritische Suada auf dem EU-Afrika-Gipfel in Lissabon war nur der vorläufige (Höhe-)Punkt auf dem i. Neu war, daß zum ersten Mal lauthals dagegen protestiert wurde, daß die versammelten afrikanischen Staatschefs aufheulten wie ungezogene Jungen, die den Hintern versohlt kriegen.

Ob Klimakatastrophe oder Verletzung der Menschenrechte, ob Kinderverwahrlosung oder Unterdrückung nationaler Minderheiten, ob George W. Bush (Washington) oder Wen Jiabao (Peking), Wladimir Putin (Moskau) oder Robert Mugawe (Harare/Simbabwe) - Angela Merkel hält für alles und jeden einen passenden Spruch aus der pädagogischen Rohrstockkiste bereit. Es kümmert sie nicht daß sie dabei eventuell wertvolles Porzellan zerschlägt, der heimischen Wirtschaft eminent schadet, ernsthafte Verstimmung zwischen verbündeten Staaten auslöst. Was raus muß, muß raus. Der Mensch muß zum Guten und Wahren erzogen werden, und wir, wir Deutschen, sind dazu berufen, ihn dazu zu erziehen.

Schon der große Friedrich Schiller hat ja dergleichen gelehrt. Einzig die Deutschen, schrieb und dozierte er, hätten das Zeug dazu, die "eigentlichen Menschen" zu werden, so wie die alten Griechen damals in der Antike aufgrund ihrer Kultur die "eigentlichen Menschen" wurden und waren, trotz der ihnen in vieler Hinsicht überlegenen politischen Großreiche um sie herum, Ägypten Persien, Karthago, Rom.

Die aus ihrer spezifischen Kultur sich speisende "Humanitas", legt Schiller nahe, war der "Nationalcharakter" der klassischen Griechen, und sie ist heute, in der Neuzeit, der "Nationalcharakter" der Deutschen, genauer: der durch Klassik und transpolitisches, ästhetisches "Spiel" erzogenen Deutschen. Sie allein, so immer weiter Schiller, wissen, daß die gewissermaßen urwüchsige Politik das Leben der Völker und darüber hinaus alles Lebendige in der Natur auf Dauer schwer beschädigt und ins Verhängnis führt, daß man folglich diese Politik veredeln, sie eben in kulturelles "Spiel" und in Erziehung überführen muß.

Mit Imperialismus im herkömmlichen Sinne hatte und hat diese  deutsche Oberlehrerei nichts zu tun, weder bei Schiller noch bei Merkel. Ihre Pointe liegt ja gerade darin, daß die Deutschen an sich, von Haus aus, keinen spezifischen Nationalcharakter haben (wollen) und folglich auch keine naturbedingte, genetisch vorgegebene Exzellenz gegenüber irgendeinem anderen Volk. Sondern sie gewinnen die Exzellenz erst und nur insofern, als sie sich dauernd selbst erziehen, von eigenen Interessen ausdrücklich absehen und sich einzig und allein  "der Sache selbst" widmen, um ihretwillen die hanebüchensten Selbstverleugnungen und Finanzbürden auf sich nehmen.

Bei Merkel verbindet sich das noch mit dem bekannten deutschen Schuldkomplex. Die Deutschen "dürfen" demnach gar keine eigenen politischen Interessen mehr haben, ihre Interessen sind vorab identisch mit denen übergeordneter Instanzen, der EU, "des Westens", am liebsten "der Menschheit". Unter "Menschheit" macht es die Regierung Merkel kaum noch. Aber es wird ihr nicht gedankt, im Gegenteil. Die Politikpartner beginnen der deutschen Polit-Rhetorik total zu mißtrauen. Sie wittern selbst dort noch, wo es wirklich nur gut gemeint ist, schlaue Verschleierung und schnöde Täuschungsabsicht.

Politik, zumal Außenpolitik, ist nun einmal ein Geschäft der Verschleierung und des Quidproquo. Kein Wort wird zum Nennwert gehandelt, jedes ist auslegungsbedürftig, wobei außer dem "Was" und dem "Wie" auch das "Daß" eine wichtige Rolle spielt. Warum ist das ausgerechnet jetzt und hier gesagt worden? Und warum ist es überhaupt gesagt worden? Was steckt dahinter? So wird gefragt, und je schlichter und lehrbuchhafter die Sätze der Politiker ausfallen, um so argwöhnischer und dringlicher die Fragezeichen.

Natürlich ist sich auch Merkel über diese Ambivalenzen im klaren. Wenn ihre Reden trotzdem immer holzschnitthafter und belehrender werden, so läßt sich das an sich nur als Ausdruck wachsenden Machtbewußtseins und hoher Selbsteinschätzung erklären. Sie scheint sich inzwischen tatsächlich für jene Oberlehrerin unter den Staatslenkern dieser Welt zu halten, als die sie vielerorts wahrgenommen wird. Und sie scheint zu glauben, daß das für sie und ihre Regierung günstig sei.

In letzterem aber täuscht sie sich. Notorische Besserwisser und Musterschüler sind überall unbeliebt, auch in der internationalen Politik, selbst wenn sie in der Sache recht haben. Das ungenierte, mit erhobenem Zeigefinger geübte Ansprechen von heiklen Tatbeständen wird als Unhöflichkeit empfunden, machmal sogar als Provokation, auf die man handfest reagieren muß. Bündnisse ihrerseits entstehen aus gemeinsamen Interessen, nicht daraus, daß der eine erklärt, er habe gar keine Interessen, repräsentiere statt dessen das Interesse aller.

Es stimmt schon: Jede Nation von einigem Format hegt den Traum einer gewissen Berufung, eines gewissen "Auftrags", den sie angeblich zu erfüllen hat. Die Amerikaner etwa glauben, sie müßten der ganzen Welt die "Demokratie" bringen. Das ist zumindest für imperiale Ausgriffe ziemlich praktisch. Unser deutscher Traum vom globalen Oberlehrer  hingegen ist in jeder Beziehung unpraktisch.


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