© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Erotische Parallelwelten
Louis-Ferdinand Célines Briefe an seine Freundinnen offenbaren ein Maskenspiel des Höllenclowns
Harald Harzheim

Bei einem Autor wie Louis-Ferdinand Céline reicht es nicht, die Romane zu publizieren. Deren Radikalität reißt zu viele Fragen auf, erweckt derart Neugier auf Vertiefung, läßt rastlos nach beruhigenden Antworten suchen, daß man auch auf marginale Texte angewiesen ist. Zahlreiche Kleinverlage haben das begriffen und ergänzen Rowohlts Edition der Céline-Romane mit Ausgaben der Briefe, Dramen, Filmszenarien, Ballette und Interviews. Besonders der Merlin-Verlag hat diese Versorgungslücke vorbildlich gefüllt. Jetzt erlaubt uns dieser Verlag, auch Célines "Briefe an (seine) Freundinnen" zu lesen.

Die Briefe stammen aus der Zeit zwischen 1932 und 1941, als der Arzt Louis Destouches sich zum Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline wandelte und 1937 mit dem antisemitischen Hetzpamphlet "Bagatelles pour un Massacre" zum Skandalautoren Nummer eins mutierte. Wer hofft, den Höllenclown Céline in diesen Briefen jenseits aller Selbststilisierung, quasi privat anzutreffen, der wird enttäuscht sein. Denn gegenüber allen sechs Freundinnen baut der Autor ein anderes Image auf - ein Maskenspiel, das die Frage nahelegt, ob sich dahinter überhaupt ein "wahres Gesicht" verbirgt.

Célines Freundinnen wohnten über halb Europa verstreut: erotische Parallelwelten, ohne Wissen voneinander. Oft genug unternahm er Rundreisen, bei denen er mehrere auf einmal besuchte. Da war beispielsweise die deutsche Journalistin Erika Irrgang. Ihr gegenüber spielte er den väterlichen Ratgeber. Die schlecht geschriebenen Briefe sind prallvoll mit Tips zu allen Lebensbereichen. Célines pädagogische Aphorismen spiegeln exakt die Werteskala seiner Romanhelden, propagieren Überlebenskampf und erotischen Entspannungsrausch. Das Schlimmste: Die Ratschläge wiederholen sich von Brief zu Brief. So ermahnt Céline seine Adressatin immer wieder zur Empfängnisverhütung, sie solle den Sexualakt nur mit Präservativ oder anal praktizieren. Überhaupt müsse Frau Irrgang alle Romantik vergessen sowie bedingungslos Erfolg und Wohlstand anstreben. Als in Deutschland infolge der "Arisierung" viele Journalistenstellen frei wurden, drängt er seine Freundin, aus der Situation schamlos Kapital zu schlagen.

Von allen Briefen Célines sind die an seine jüdische Geliebte N. (Name unbekannt) am stärksten mit Erotik gefärbt. Das reicht von witzigen Fetischismus-Anspielungen bis zur Erinnerung an gemeinsamen Gruppensex. Daß diese Beziehung in die Entstehungszeit seiner antisemitischen Pamphlete fällt, beweist überdeutlich Célines Fähigkeit, seinen paranoiden Verschwörungswahn zurückzustellen, wenn es seinem Vorteil diente. Die in Wien lebende N. machte Céline mit der Psychoanalyse bekannt, stellte ihm das Analytikerpaar Wilhelm und Anny Reich vor. Als ihr Ehemann im KZ Dachau stirbt, schreibt Céline ihr teilnahmsvoll: "Das sind entsetzliche Nachrichten", um ein paar Zeilen später über einen Gerichtsprozeß zu jammern, der wegen seines antisemitischen Haßpamphlets gegen ihn läuft. Als Gipfel der Geschmacklosigkeit vergleicht er seine selbstverschuldeten juristischen Scherereien mit der Ermordung von N.s Ehemann.

Die differenziertesten und emotional tiefstgehenden Schreiben sind an die dänische Tänzerin Karen Marie Jensen adressiert. Céline, der Tänzerinnen zeitlebens vergötterte, ist von Jensen nicht nur erotisch fasziniert. Vielmehr scheint hier eine echte Liebe im Spiel zu sein. Der Autor, der sich schon gegenüber N. als "gejagtes Tier" empfand, dem das Leben übel mitspielt, empfindet sich mit Anfang Vierzig als veraltet, vergleicht sich mit "Hamlet", verabscheut das Leben mit kräftigen Worten und beklagt sich bitter über Stalins Rußland. Sein antisemitischer Wahn erreicht den Höhepunkt: Überall sieht er Juden, die "immer anmaßender" würden, aber letztlich nur die "Vorhut der Asiaten" bildeten. Letztere seien die Sieger, während Europa untergehe.

Die Briefsammlung schenkt Literaturwissenschaftlern durch das Aufdecken Célines kultureller Vorlieben reichlich Inspiration, aber wenig Neues zu biographischen Hintergründen seiner Romane. So bot ihm Max Reinhardts  "Jedermann"-Inszenierung einen "der glücklichsten Momente, die ich im Lauf der letzten Jahre erlebt habe". Auch wenn niemand Céline mit Hofmannsthal  vergleichen wollte, deutet "Jedermann" mit seiner Kritik am Reichtum, seiner Frage nach dem Leben mit seiner Wollust und Gier in Anbetracht des Todes auf zentrale Themen in Célines frühen Romanwerken "Voyage au Bout de la Nuit" (1932) und "Mort à Credit" (1936). Hier erkannte jemand seinesgleichen, auch wenn dessen Werk als Allegorienspiel in Versen und nicht als Großstadtroman im Argot vorliegt.      

Louis-Ferdinand Céline: Briefe an Freundinnen 1932-1948, aus dem Französischen von Katarina Hock, Merlin Verler, Berlin 2007, 215 Seiten, broschiert, 16,90 Euro


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