© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

"Der sich nicht um sein Ich betrügen läßt"
Der stille Bürgerkrieg - Martin Tielkes großartiges Buch über Ernst Jünger und Carl Schmitt im Dritten Reich
Karlheinz Weissmann

Der Titel des Buches von Martin Tielke - "Der stille Bürgerkrieg" - bezieht sich auf das, was sonst als "Innere Emigration" bezeichnet wird. Innere Emigration trifft aber die Situation von Männern wie Ernst Jünger und Carl Schmitt in der NS-Zeit nicht, wenn man darunter einen Rückzug versteht und nahelegt, der Rückzug sei unbehelligt anzutreten gewesen. Tielke geht es darum, die Positionen Jüngers und Schmitts zwischen 1933 und 1945 im Hinblick auf spezifische Gefährdungen deutlich werden zu lassen und die "virtuose Doppelbödigkeit" zur Geltung zu bringen, die es ihnen erlaubte, als "Zeugen und Diagnostiker des im Untergrund geführten Bürgerkrieges" zu überleben.

Daß Tielke einleitend auf die Verhaftung und Verurteilung von Jüngers ältestem Sohn zu sprechen kommt, hat eine besondere dramaturgische Wirkung: Es wird unverkennbar, daß Jüngers Position eine am Abgrund war. Er selbst hat betont, daß das Schicksal seines Sohnes (der Anfang 1944 in der militärischen Ausbildung vor Kameraden geäußert hatte, der Krieg müsse beendet werden und Hitler gehöre aufgehängt) sich deshalb erfüllte, weil er bis an den Rand dieses Abgrundes vorgerückt war - und stürzte. Das erklärt die Schuldgefühle Jüngers, die in den Tagebuchaufzeichnungen angedeutet sind, und es erklärt zum Teil, warum Jünger nach 1945 zu anderen politischen und historischen Einschätzungen kam als Schmitt.

Tielke betont allerdings, daß die Ursache der Differenzen grundsätzlicher Natur war. Er spricht sogar von einem prinzipiellen Nicht-Verstehen der beiden, von "wechselseitiger Blindheit"  trotz der besonderen persönlichen Nähe: "In jeweils entscheidender Hinsicht verstanden sie einander nicht." Den Grad der Entfremdung konnte man zuletzt am postum veröffentlichten "Glossarium" Schmitts und der spürbaren Verletztheit des uralten Jünger über dessen hämische Bemerkungen ablesen.

Tielke stellt die Konflikte und Verstimmungen beider mit einer Art vornehmer Zurückhaltung dar. Er weidet sich nicht an den Kleinheiten großer Männer, und zu den besonderen Verdiensten seiner Arbeit gehört, daß er der einen wie der anderen Seite gerecht wird. In seiner Perspektive war die gemeinsame Front gegen den liberalen Staat in den späten zwanziger, frühen dreißiger Jahren fast nebensächlich: Jüngers bekanntes Lob für Schmitts Begriff des Politischen ("eine Mine, die lautlos zündet") tritt zurück gegenüber der Verschiedenheit des Ansatzes. Während Schmitt immer historisch-konkret dachte, begann Jünger früh die Geschichte als ewige Wiederkehr mythischer - überzeitlicher - Konstellationen aufzufassen; die Umarbeitung des "Abenteuerlichen Herzen" von der ersten zur zweiten Fassung spricht eine deutliche Sprache. Das erklärt weiter, warum Jünger, wenn auch mit erheblicher Verspätung, begriff, daß er eigentlich ein "musischer Mensch" sei, während Schmitt sich niemals von der politischen Materie lösen konnte.

Das erleichterte Jünger nach 1945 die Rückkehr in die Öffentlichkeit, während Schmitt zwar eine unterirdische Wirkung entfaltete, aber sonst ein Verfemter blieb. Selbstverständlich spielte dabei eine Rolle, daß Jüngers Distanz zum Nationalsozialismus eine deutlich konturierte war, während Schmitts Diktum "Ich bin nicht entnazifizierbar, weil ich nicht nazifizierbar bin" erheblichen Klärungsbedarf forderte und das Offensichtliche seiner Kollaboration in den ersten Jahren von Hitlers Herrschaft dagegen stand.

Schmitts Entfremdung von Jünger hatte einen Grund darin, daß er seine Motive für diese Zusammenarbeit mit den neuen Machthabern - die den offenen Bürgerkrieg zu beenden schienen - nicht verstand oder nicht zu würdigen wußte. Für Jünger beging Schmitt mit seinem NS-Engagement "politisches Harakiri". Jünger konnte das "Geheimnis" nicht begreifen, daß nämlich er, Schmitt, berufen sei, dem Golem den Zettel unter die Zunge zu schieben. Nachdem dieses Projekt offensichtlich gescheitert war, ging es ihm dann um das "Geheimnis der Geheimnisse", das er in seinem Buch "Der Leviathan" (1938) als esoterische Botschaft verborgen hatte: "die Freiheit, die Freiheit des Einzelnen, der sich nicht um sein Ich betrügen läßt. Nur was in dieser Freiheit zustande gekommen und gewachsen ist, ist wahr und hält stand".

Das war eine erstaunliche Auffassung für den Etatisten Schmitt, und wenn etwas an der Darstellung Tielkes zu kritisieren ist, dann, daß er die Diskrepanz zwischen dieser und den sonst von Schmitt geäußerten Positionen beinahe unbeachtet läßt. Dadurch erscheint Schmitts Rücksichtslosigkeit in einem zu milden Licht, und dessen Selbstverständnis oder nachgeschobenen Interpretationen wird fallweise ein zu großes Gewicht beizumessen. Ähnliches kann man in bezug auf die Darstellung Jüngers nicht sagen, obwohl dessen politisches Engagement in der nationalrevolutionären Phase und die Folgeprobleme, die das nach 1933 aufwarf, undeutlich bleiben.

Der Qualität von Tielkes Buch tun solche Einwände keinen Abbruch. Er hat eine zentrale Beziehung zwischen zwei deutschen Intellektuellen des 20. Jahrhunderts in ruhigem Ton und großer atmosphärischer Dichte nachgezeichnet - dabei immer im Blick behaltend, daß es nicht um geistesgeschichtliche Reminiszenzen geht, sondern um einen Dialog zwischen Hervorragenden, deren Bedeutung auch heute noch nicht vollständig verstanden ist. Indes kann man sehen, wie Berufene in unübersichtlicher Lage das "Besteck aufnehmen".

Martin Tielke: Der stille Bürgerkrieg. Ernst Jünger und Carl Schmitt im Dritten Reich, Landt-Verlag, Berlin 2007, gebunden, 142 Seiten, 8 Abbildungen, 24,90 Euro


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