© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 50/07 07. Dezember 2007

Referendum für Putin
Rußland: Die Parlamentswahlen hat wie erwartet die Partei des Präsidenten gewonnen / Kommunisten erneut stärkste Oppositionskraft
Wolfgang Seiffert

In einem Punkt waren sich die Anhänger Wladimir Putins, die russischen Oppositionsgruppen wie die westlichen Beobachter einig: Nachdem der russische Präsident sich bereit erklärt hatte, als Spitzenkandidat für die Partei Einiges Rußland (ER) zu kandidieren, war mit einem überwältigenden Sieg bei den Parlamentswahlen zu rechnen. Nach vorläufigen Ergebnissen erhielt Putins ER 64,1 Prozent und damit 315 von 450 Sitzen in der Staatsduma.

Da es von den zehn weiteren Parteien nur drei über die neue Sieben-Prozent-Hürde schafften, errang Putins Liste eine Zweidrittelmehrheit. Die Kommunisten (KPRF) wurden am Sonntag mit 11,6 Prozent (57 Sitzen) erneut zweitstärkste Partei. Die LDPR des verbalradikalen Wladimir Schirinowski kommt mit 8,2 Prozent auf 40 Abgeordnete - darunter den Ex-FSB-Offizier Andrej Lugowoi, den die Briten verdächtigen, den zum MI6 übergelaufenen Ex-KGB-Agenten Alexander Litwinenko in London mit Polonium vergiftet zu haben. Die neue Partei Gerechtes Rußland: Heimat, Rentner, Leben (SR), die 2006 unter anderem aus der linksnationalen Duma-Partei Rodina entstand, kommt mit 7,8 Prozent auf 38 Sitze. Alle anderen Parteien blieben unter drei Prozent. Sie müssen daher die Kosten für die Wahlkampfwerbung im Fernsehen, die vom Staat vorfinanziert wurden, zurückzahlen.

Die Niederlage der zersplitterten Opposition war zu erwarten. Auch die im Westen populären und einst in der Duma präsenten "Demokraten" hatten angesichts ihrer Zerstrittenheit keine Chance. Die wirtschaftsliberale Union der rechten Kräfte (SPS) von Ex-Vizepremier Boris Nemzow und die sozialliberale Jabloko-Partei Grigorij Jawlinskijs erhielten ihre Quittung für die soziale Katastrophe der wilden neunziger "Reformjahre". Sie präsentierten weder Persönlichkeiten noch ein überzeugendes Programm. Vielen Russen erschienen Oppositionelle wie Garri Kasparow als Hilfstruppen der USA. Mit seinen Auftritten im US-Fernsehen bestätigte der Ex-Schachweltmeister diesen Eindruck. Kasparows heterogenes Bündnis Das andere Rußland  (DR) wurde zur Wahl mangels Parteieigenschaft nicht zugelassen. Zuvor hatte sich bereits Putins Ex-Premier Michail Kasjanow vom DR getrennt.

Westliche Beobachter und die OSZE kritisierten die Duma-Wahl als unfair. "Es gab eine Vermischung von Regierungs- und Parteistrukturen. Das ist ein problematischer Aspekt", erklärte OSZE-Vize Kimmo Kiljunen. KPRF-Chef Gennadij Sjuganow beklagte massiven Wahlbetrug. Seine Kommunisten hätten sonst 20 Prozent gewonnen.

In der Tat, es gab Verstöße und Unregelmäßigkeiten. Unter anderem deshalb, weil manche Provinzgouverneure glaubten, sie könnten durch organisierte kollektive Stimmabgaben bei Putin Punkte sammeln. Es gab Regionen im Kaukasus und Sibirien, wo Putins ER zwischen 70 und 99 Prozent erreichte. Dafür lag sie in St. Petersburg bei 50 Prozent. Doch alle seriösen Kritiker betonen, daß Putin auch ohne Manipulationen gewonnen hätte. Sie fragen, warum es dennoch "unnötigerweise" solche Methoden gab. Dabei übersehen sie, daß starke Kräfte speziell in den USA daran interessiert sind, in Rußland ähnliche Entwicklungen zu befördern wie bei der "Rosen-Revolution" in Georgien (2003) oder der "Orangenen Revolution" in der Ukraine (2004).

In London erhielt etwa der russische Oligarch Boris Beresowskij Asyl, der öffentlich dafür plädiert, man müsse das "Putin-Regime" mit Gewalt beseitigen, weil es "auf demokratischem Wege nicht zu stürzen" sei. Hinzu kommen - trotz der makroökonomisch positiven Entwicklung - ungelöste innerrussische Probleme wie die allgegenwärtige Korrup-tion und die wachsende Kriminalität.

Die demographische Krise läßt den Anteil der Russen an der Gesamtbevölkerung abnehmen. Zwar hat Putin die Macht der milliardenschweren Oligarchen gezähmt. Aber sie sind weiter präsent und niemand weiß, wie sie sich im Krisenfall verhalten. Außenpolitisch rückt die Nato immer näher an die Grenzen Rußlands heran, und die USA wollen in Tschechien und Polen Teile ihres Raketenabwehrsystems stationieren. Wie real diese Gefahren sind, läßt sich von außen nicht feststellen. Und die russischen Überreaktionen relativieren sich, wenn man etwa an die drastischen Maßnahmen in den westlichen Staaten als Reaktion auf den islamistischen Terrorismus denkt.

Putins Plan, das Wahlergebnis als demonstratives Referendum für die Fortsetzung seines Kurses für "die stabile, beständige Entwicklung zu bewahren und das Wachstum des Wohlergehens und der Sicherheit des Vaterlandes und der Garantie gegen politische Risiken" fortzusetzen, ist aufgegangen. Der zweite Schritt folgt mit der Präsidentenwahl am 2. März 2008. Am 17. Dezember will Putins Partei ER bekanntgeben, wen sie als Kandidaten vorschlägt. Nach der russischen Verfassung, die noch aus der Jelzin-Ära stammt, kann Putin nicht ein drittes Mal antreten. Jetzt darüber zu spekulieren, welche Funktion er kommendes Jahr bekleiden wird, ist Kaffeesatzleserei.

 

Prof. Dr. Wolfgang Seiffert leitete das Kieler Institut für osteuropäisches Recht. Bis 2002 lehrte er an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau.


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