© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

Preußens Existenz stand auf dem Spiel
Vor 250 Jahren fand die Schlacht von Leuthen während des Siebenjährigen Krieges statt, die bis heute verschiedene Mythen liefert
Jan von Flocken

Einem preußischen Grenadier wurde beim Aufmarsch ein Bein abgeschossen. Er rafft sich von der Erde auf, stützt sich auf sein Gewehr wie auf eine Krücke, und so schleppt er sich zu einem Standplatz, wo die Kanonen vorbei mußten, von wo er mit lauter Stimme den Soldaten zurief: 'Brüder, fechtet wie brave Preußen! Siegt, oder sterbt für euren König!'" Diese Episode aus der Schlacht bei Leuthen berichtet der Kadett Johann Wilhelm von Archenholtz. Sie verdeutlicht symbolhaft den Geist, der bei vielen Soldaten Friedrichs des Großen herrschte.

 Stolz durften die Preußen 1757 auf einen völlig unerwarteten Erfolg zurückblicken. Am 5. November hatte Friedrich bei Roßbach (im heutigen Sachsen-Anhalt) einen vollständigen Sieg über ein zahlenmäßig weit überlegenes französisches Heer errungen. Ganz Deutschland jubelte darüber, daß die hochmütigen und brutalen Franzosen, die seit Jahrzehnten die westdeutsche Bevölkerung kujonierten, endlich geschlagen wurden. Plötzlich war man überall "fritzisch gesonnen" wie sich der Frankfurter Johann Wolfgang Goethe erinnerte. Dennoch blieb die Lage der Preußen gespannt. War ihr Feind im Westen bezwungen, so drohten in Ostpreußen russische Truppen mit Vormarsch auf Königsberg, und - schlimmer noch - am 25. November hatte Breslau vor den Österreichern kapituliert. Schlesien, der Hauptzankapfel des ganzen Krieges, schien verloren.

Numerisch unterlegen, mußte Friedrich während des gesamten siebenjährigen Konflikts defensiv operieren, handelte aber stets nach jenen Maximen, die er in seinen "Generalprinzipien des Krieges" formulierte: "Vor allem seid grundsätzlich darauf bedacht, auf jede nur mögliche Weise die Offensive an euch zu reißen." Und: "Straft den Feind für seinen geringsten Fehler, als ob ihr sein Schulmeister wäret."

Fast 70.000 Österreicher, wie die Kaiserlichen hier summarisch genannt seien, standen unter Prinz Karl von Lothringen mit 210 Kanonen bei dem Städtchen Leuthen westlich von Breslau. Der König konnte ihnen ganze 35.000 Mann mit 165 Geschützen entgegenstellen. Dennoch entschloß er sich zum Angriff, eine Maßnahme, die so ungewöhnlich schien, daß er am Vorabend der Schlacht, dem 4. Dezember 1757, vor seinen Generalen eine erläuternde Ansprache hielt: "Ich werde gegen alle Regeln der Kunst die beinahe dreimal stärkere Armee des Prinzen Karl angreifen, wo ich sie finde. Es ist hier nicht die Rede von der Anzahl der Feinde, noch von der Wichtigkeit ihrer Stellung. Alles dies, hoffe ich, wird die Herzhaftigkeit meiner Truppen, wird die richtige Befolgung meiner Dispositionen zu überwinden suchen. Ich muß diesen Schritt wagen, oder es ist alles verloren. Wir müssen den Feind schlagen oder uns vor seinen Batterien begraben lassen."

Woraus speiste sich ein so felsenfestes Vertrauen? Die preußischen Soldaten "glaubten, daß dieser König, der wie sie seine persönliche Existenz aufs Spiel setzte, niemals von Gott völlig verlassen sein könnte", meint Wolfgang Venohr in seinen "Preußischen Profilen". In der Tat darf man die Moral wohl als kriegsentscheidenden Faktor werten. Das Zerrbild vom zwangsrekrutierten, geprügelten Preußensoldaten, der Tag und Nacht nur ans Desertieren dachte, wird durch ständige Wiederholung nicht treffender. Friedrich der Große sprach zwar immer wieder davon, wie nötig "strengste Manneszucht" im Heer sei, aber dies wurde weniger durch Zwang als mit Appellen an das Ehrgefühl erreicht. In den meisten Staaten Europas setzten sich die Armeen aus dem Bodensatz der Bevölkerung zusammen. Der Soldatenberuf galt als Schande. In Preußen durfte noch der letzte Rekrut, welcher des Königs Waffenrock trug, allgemeiner Wertschätzung sicher sein.

Ebenso unsinnig ist die Behauptung, das preußische Heer habe großenteils aus gewaltsam zum Dienst gepreßten Ausländern bestanden. Abgesehen davon, daß dies schon unter dem Gesichtspunkt einer einheitlichen Kommandosprache kontraproduktiv gewesen wäre, besaß Preußen das sogenannte Kantonalsystem. Die Rekruten wurden im Heimatland aus Militärbezirken (Kantonen) ausgehoben, was zur Folge hatte, daß oft Bekannte und Freunde in einem Regiment Dienst taten. Dies festigte wiederum Moral und Zusammenhalt.

Natürlich war der preußische Militärdienst keine bequeme Angelegenheit. Friedrich der Große ließ auch außerhalb des Krieges die Disziplin niemals schleifen. Schließlich "wäre die preußische Armee nicht zu der physisch und geistig beweglichen Truppe von 1756 geformt worden ohne die Erfahrung, die sie in Friedenszeiten bei anstrengenden Paraden und Manövern sammelte", konstatiert der britische Militärhistoriker Christopher Duffy.

Hinzu kam das anfeuernde Beispiel von Friedrichs persönlichem Einsatz. Er ging seinen Männern oft buchstäblich voran und sprach sie individuell an. In der Schlacht bei Leuthen redete er mit dem Korporal von Barsewisch, Fahnenträger des Regiments Meyerinck in der zentralen Ersten Linie. Er erläuterte ihm exakt, an welchen Punkt des Schlachtfelds er seine Truppe führen sollte. Als die Österreicher auf der Landstraße nach Breslau zurückwichen, setzte Friedrich  sich im beginnenden Schneetreiben an die Spitze der Seydlitz-Kürassiere, um die Verfolgung aufzunehmen.

Friedrich von Preußen war das Musterbild des Clausewitzschen "Roi-connétable", des König-Feldherren, der in Alleinverantwortung Krieg und Politik lenkt. Die Schlacht von Leuthen gewann er durch einen Flankenangriff. Es war die höchste Entwicklung der sogenannten Schiefen Schlachtordnung, wonach durch Massierung auf einem Flügel die gegnerische Übermacht wirkungslos gemacht wird.

Der preußische Sieg fiel überzeugend aus. Allein die Tatsache, daß die Österreicher 12.000 Gefangene verloren, trieb sie zum Rückzug aus Schlesien. Ihr Verlust von 46 Fahnen und neun Standarten war eine moralische, die Einbuße von 131 Kanonen eine militärische Schlappe. Unmittelbare Folge der Schlacht bei Leuthen war die Rückeroberung Breslaus am 21. Dezember 1757, wo sich 17.600 Österreicher ohne Widerstand gefangennehmen ließen. Massendesertion war also durchaus kein preußisches Phänomen.

Foto: Adolf von Menzel, Schlacht bei Leuthen 1757, Kreidelithographie 1834-1836: "Straft den Feind für seinen geringsten Fehler, als ob ihr sein Schulmeister wäret"


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