© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

Joschka war für sie ein "Schweinchen"
Ein halbes Leben: Die Grünen-Mitgründerin Petra Kelly wäre heute sechzig - ein Weggefährte erinnert sich
Rolf Stolz

Als am 1. Oktober 1992 Petra Kellys Leben endete, war sie noch nicht einmal 45 Jahre alt. Nur die Hälfte eines langen Menschenlebens war ihr beschieden, aber welch eine Hälfte und welch ganzes Leben! Sie war noch ein Kind, als die Familie 1960 in die USA zog - in ein Land, das damals im Aufbruch der Wahl John F. Kennedys aufblühte und wenig später doch in die Kuba-Krise geriet, in die Katerstimmung nach dem Kennedy-Mord, in das beginnende Vietnam-Desaster. 1968 engagierte sich die 21jährige im Präsidentschaftswahlkampf für Robert Kennedy, vier Jahre später ging sie nach Brüssel, wo sie zehn Jahre für die Europäische Kommission arbeiten wird - sogar noch in den Anfangsjahren der Grünen, als sie rastlos hin und her reist und oft genug im Intercity-Hotel am Kölner Hauptbahnhof wenige Stunden schläft, ehe sie mit dem Morgenzug ihr Brüsseler Büro ansteuert.

1979 verläßt Kelly die SPD, kandidiert mit Herbert Gruhl als Spitzenkandidatin für die "Sonstige Politische Vereinigung Die Grünen" zur Europawahl (ein erster Achtungserfolg: 3,2 Prozent), wird Gründungsmitglied der Grünen und im März 1980 Sprecherin in einem Trio mit August Haußleiter und Norbert Mann. Weltweit ist sie "die deutsche Grüne". Daß sie 1982 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wird, verweist auf ein Renommee und einen Respekt im Ausland, welche ihr in Deutschland - auch in der eigenen Partei - selten entgegengebracht werden. Dort überwiegen die Neider und Kritteler.

1983 gehört sie zur ersten grünen Bundestagsfraktion. Friedens- und Menschenrechtspolitik und internationalistische Solidarität mit verfolgten Völkern und Minderheiten stehen im Mittelpunkt ihrer parlamentarischen Interventionen. Von daher ist es logisch, daß sie sich nach 1985 ganz besonders für Tibet engagiert - und damit nicht nur an den sorgsam gepflegten Schlaf der Welt rührt, sondern die Macht- und Gewinninteressen großer globaler Spieler empfindlich berührt.

Es ist hier nicht der Ort, um erneut die offene Frage zu diskutieren, wie Petra Kelly zu Tode kam. Viele Zweifel bleiben - doch so gut wie ausgeschlossen ist, daß sie ihren Tod wollte und suchte. Zwar kannte sie Momente der Verzweiflung über den Zustand der Welt und die Herzenskälte so mancher "Parteifreunde" , zwar ging sie oft bis an die Grenze ihrer körperlichen und seelischen Kräfte und mobilisierte ihre letzten Reserven. Aber jeder, der sie wirklich kannte, weiß, daß sie ein ungeheures Pflichtbewußtsein besaß gegenüber den Menschen, die ihr wichtig waren.

Was ihr immer fehlte, war der Sinn für die Verankerung in den "Netzwerken" der Politik, also in den Klüngelkonstruktionen der grünen Strömungen - von ostwestfälischen Landsmannschaften über die Alte-Kameraden-Riegen aus Ex-KBW, Ex-KPD und Ex-Sonstwas bis zu den öden Streitigkeiten der Realos mit den Fundis, bei denen politische Luftnummern den Rauchvorhang für persönliche Fehden und die Ausschaltung der Konkurrenten bildeten.

Was sie wollte, war nicht einfach eine weitere Partei, sondern jene "Anti-Parteien-Partei", die schon deshalb nicht entstand, weil eine Mehrheit im Funktionärskorps der Grünen gerade eins nicht suchte: die Permanenz des Kampfes, die Uneigennützigkeit Robespierrescher "Incorruptibles", das Amt als unbezahlte Ehre.

An dieser Mehrheit, an diesem Bündnis der eigennützigen Politprofiteure und kalten Kassierer in den Vorständen mit den Dumpf-Dummen in der Mitgliedschaft ist Petra Kelly machtpolitisch gescheitert - wie so viele Grüne der ersten Stunde, etwa Joseph Beuys (in NRW von grünen Spießern auf einen hinteren Listenplatz und zum Verzicht auf seine Kandidatur gedrängt), wie Herbert Gruhl, der großartige Theoretiker der Umweltkrise, wie August Haußleiter, seit 1949 einer der wichtigsten Köpfe der nationalneutralistischen Strömung in Deutschland.

Petra Kelly teilte die Grundüberzeugung Joseph Beuys', der 1976 äußerte: "Das System ist kriminell, der Staat zum Feind des Menschen geworden." Sie stand wie Gerd Bastian in diametralem Gegensatz zu Joseph Fischer, diesem Musterbeispiel eines nicht durch Überzeugungen behinderten Politikers. Wenn sie ihn im vertraulichen Gespräch anderen gegenüber ein "Schweinchen" nannte, drückte der Diminutiv nicht etwa Positives aus, sondern rührte her aus ihrer grundsätzlichen Haltung, auch ihre Feinde nicht zu hassen. Kennzeichnend war, daß Fischer auf der offiziellen Gedenkveranstaltung der Bundesgrünen für Kelly und Bastian in Bonn eine ebenso raffinierte wie verlogene Gedenkrede hielt und sich als ihr leider verkannter Kampfgenosse präsentierte.

Petra Kelly unterstützte sehr früh Oppositionelle in der DDR und Osteuropa. Sie wollte das Verschwinden der spätstalinistischen Regime, und sie stellte sich 1987 schützend vor die Linke Deutschland-Diskussion (LDD), als diese von faschistoiden "Antifa"-Provokateuren, der DKP und deren Kompagnons in den großen Parteien angegriffen wurde.

Auch wenn sie wie viele Grüne die Notwendigkeit der Verbindung von Internationalismus und Patriotismus, von friedfertiger Selbstbehauptung und ökologisch-demokratischer Erneuerung nicht begriff - sie begrüßte den Zusammenbruch der pseudolinken Diktaturen und die Vereinigung Deutschlands, sie wußte, daß die "Anti-Deutschen" nichts als umgekippte Chauvinisten waren, die ihre Sprüche geändert hatten, aber nicht ihren pathologischen Haß. Der schwachsinnige grüne Wahlslogan des Jahres 1990 "Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Klima." war ihre Sache nicht.

Allzuoft wurde sie angegriffen als politische "Selbstdarstellerin", die sich nicht einfüge in die Gesichtslosigkeit des im Rotationsverfahren ausgetauschten und völlig austauschbaren Abgeordnetenkollektivs. Ja, sie war tatsächlich eine mutige Frau, die sich selbst in die vorderste Reihe stellte, die sich nicht hinter Parteibeschlüssen und Sachzwängen versteckte, die nicht taktierte, sondern stets ihrer Überzeugung folgte. Sie zeigte sich, wie sie war, und das hieß: alles andere als unerschütterlich und unangreifbar. In ihren Reden wie im Leben hatte sie das Pathos der Heroine, zeigte in ihrer Hauptrolle als politischer Mensch im besten Sinne Ausdruckskraft und Theatralik - um andere Menschen zu bewegen und zu erschüttern, nicht für das bißchen Beifall der Menge.

Wer ihr nahegestanden und persönlich nahegekommen ist, der wird sie für immer vor Augen haben in ihrer grenzenlosen Begeisterung für Güte und Größe, für Schönheit und Besonderheit, aber auch in ihrer Verletzlichkeit, in ihrem Wunsch nach Zuneigung. Ihre politischen Widersacher sind teils schon dem wohlverdienten Vergessen anheimgefallen, teils haben sie sich definitiv als Madeleines und Condoleezzas Pudel demaskiert.

Noch in ihrem halben Scheitern, noch im Rätsel ihres Todes bedeutet Petra Kelly für die Menschen, die nach Auswegen aus Ausbeutung und Krieg, aus Verdummung und Verelendung der Völker suchen, ein Symbol für die Hoffnung des "Trotz alledem". 

 

Rolf Stolz gehörte 1979 zu den Mitbegründern der Grünen und hatte verschiedene Parteifunktionen inne, unter anderem als Mitglied der Programmkommission und des Geschäftsführenden Bundesvorstands.

Foto: Petra Kelly (1947-1992), Grünen-Politikerin der ersten Stunde: Begeisterung für Güte und Größe, für Schönheit und Besonderheit


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