© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 49/07 30. November 2007

Multikuturelles Chaos
Von Clichy nach Villiers - Frankreich macht nur den Anfang
Michael Paulwitz

Den "Kärcher" hat Nicolas Sarkozy erst mal im Schuppen gelassen. Dabei böte die Neuauflage der Straßenschlachten in mehreren Pariser Banlieues durchaus Anlaß, "das Gesindel" mit dem Hochdruckreiniger von den Straßen fegen zu wollen. Doch während französische Polizeigewerkschafter nach den Krawallnächten und über hundert zum Teil schwer verletzten Kollegen bereits Alarm geschlagen haben, es gehe noch gewalttätiger zu als vor zwei Jahren, schloß sich der Präsident aus dem fernen China den hilflosen Aufrufen des örtlichen Bürgermeisters zu Ruhe und Besonnenheit an.

Jetzt müsse erst einmal die Justiz "zügig" klären, wer für den Unfall verantwortlich sei, der als Auslöser für die Straßenschlachten diente, beschwichtigte Sarkozy. Auch Sozialistenchef François Hollande forderte, "alle Einzelheiten" aufzuklären, damit es nicht zu einem "zweiten Clichy" komme. Doch das ist schon da.

Die Ausgangslagen ähneln sich: Damals, im Herbst 2005 in Clichy-sous-Bois, kamen zwei jugendliche Einwanderer auf der Flucht vor der Polizei in einem Transformatorhäuschen ums Leben; im November 2007 reichte der tödliche Motorrad-Zusammenstoß zweier schwarzafrikanischer Jugendlicher mit einem Streifenwagen, um mehrtägige Straßenschlachten auszulösen.

Daß ein simpler Verkehrsunfall wie auf Knopfdruck bürgerkriegsähnliche Zustände auslösen kann, deutet auf mehr als die von Hollande konstatierte "tiefe soziale und politische Krise". Clichy und Villiers sind Chiffren für eine Staatskrise, auf die Frankreichs politische Eliten keine Antwort haben. In französischen Vorstadt-Ghettos ist ein revolutionäres Potential perspektiv- und beschäftigungsloser junger Einwanderer herangewachsen, das sich in seinem Haß auf Staat und Staatsmacht weder von rechtsstaatlichen Mechanismen noch durch Verständnis und Gesprächsbereitschaft beeindrucken läßt. Ob es tatsächlich oder nur geglaubt eine "Verfolgungsjagd" oder unterlassene Hilfeleistung gab, spielt für die randalierenden Jung-Einwanderer keine Rolle: Ihr Feindbild steht fest und wird sich durch keine noch so rechtsstaatliche und korrekte Untersuchung und Aufklärung zerschlagen lassen.

Ihr Alltag wird ohnehin nicht von westlichen Werten geprägt, sondern von Territorialkämpfen rivalisierender Gangs, von Katz-und-Maus-Spielen mit der Polizei und halsbrecherischen Wettrennen mit Geländemotorrädern. Das Risiko rast immer mit, ohne Helm, Licht, Verkehrsregeln und Zulassung. Passiert etwas, sind "die anderen" schuld; eine Haltung, die noch bestärkt wird durch den sozialistischen Paternalismus, der im chancenlosen Integrationsverweigerer stets zuerst das Opfer der Gesellschaft sieht.

Am rationalen Dialog besteht folglich wenig Interesse. Das mußte schon am ersten Krawallabend der diensthabende Polizeikommissar feststellen, der beim Versuch, die Jugendlichen zur Vernunft zu bringen, mit Eisenstangen krankenhausreif geschlagen wurde. Auch vor zwei Jahren wurden die Krawalle weder beigelegt noch niedergeschlagen - sie hatten sich schlicht totgelaufen. Wenig spricht dafür, daß es jetzt anders sein wird.

Das Gewaltpotential ist nicht nur ungebrochen vorhanden und abrufbereit, es ist auch noch gestiegen. Diesmal brennen nicht nur Polizeiwachen, Büchereien, Kindergärten, Schulen und Autos, werden nicht nur Läden und Restaurants geplündert, werfen die Randalierer nicht nur Steine und Brandflaschen, es wird auch scharf geschossen. "Wir haben es mit einer Stadtguerilla zu tun, die mit Waffen ausgerüstet ist", warnte der Sprecher einer Polizeigewerkschaft. Die täglichen Verlustziffern übertreffen die von 2005 um ein Vielfaches.

Gleichviel, ob die Krawalle wieder wochenlang anhalten wie 2005 oder nur einige Tage: Sarkozys effekthaschende Umarmungsstrategie hat ebenso versagt wie die ideologischen Rezepte der Linken. Es hat nichts genützt, Vorzeige-Einwanderer in die Regierung aufzunehmen und zur Stimmungsaufhellung in die Krisenviertel zu entsenden. Ebensowenig hat es geholfen, Teile der schwindenden staatlichen Autorität auf lokale Anführer als "Streitschlichter" oder "Nachbarschaftspolizei" zu übertragen. Die Kritik des Sozialisten Hollande, der Staat habe auf die Krise "nur mit Autorität" reagiert, geht nicht nur ins Leere, sie bleibt auch die Alternative schuldig.

Das muß auch der deutschen Politik zu denken geben, die bislang nicht mal die Abwiegelungsfloskel wiederholt hat, solche Zustände könnten "bei uns" nicht ausbrechen. Wirklich? Wahr daran ist nur, daß die Ghettoisierung der eingewanderten Unterschicht in Deutschland noch nicht so weit fortgeschritten ist wie in Frankreich. Wahr ist auch, daß Deutschland erheblich größere Anstrengungen als Frankreich unternimmt, um die wachsende Unzufriedenheit mit Sozialarbeit und Transferleistungen zu überpinseln. Was aber, wenn das Geld dafür ausgeht? Dann werden, wie Bassam Tibi noch vor Clichy prophezeite, auch deutsche Großstädte bald zu multikulturellen Kriegsschauplätzen.

Abwenden könnte das nur eine neue Einwanderungspolitik, die auf Restriktion und Rückführung setzt. Bis eine solche Wende greift, bliebe freilich nur der "Kärcher", um das staatliche Gewaltmonopol zu behaupten. Wenn denn der Wille dazu noch da ist.


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