© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

Begriffsklärungen gegen Gleichgültigkeit
David Noebel und Hannsjosef Hohn streiten gegen die ideologisch motivierte Unordnung in den Worten
Klaus Motschmann

Als der chinesische Philosoph und Religionsstifter Konfuzius (511-479 v. Chr.) von seinem jungen Kaiser gefragt wurde, was er tun müsse, um sein zerrüttetes Reich wieder in Ordnung zu bringen, antwortete er kurz und bündig: "Stelle die Bedeutung der Begriffe wieder her und dulde keine Unordnung in den Worten." Damit wurde ein bis heute wichtiger Grundsatz der Staatslehre formuliert, der im Laufe der Jahrhunderte immer wieder bestätigt worden ist: Daß zwischen sprachlicher und politisch-gesellschaftlicher Ordnung ein enger Zusammenhang besteht. Große Reiche sind nicht nur durch militärische oder revolutionäre Gewalt zusammengebrochen, sondern auch durch einen langsamen Prozeß einer "babylonischen Sprachverwirrung".

Wir leben in einer Zeit der Zerrüttung traditioneller Ordnungen. Über Jahrhunderte hinweg geprägte und gepflegte Begriffe sind inzwischen zu leeren Worthülsen verkommen. Sie haben einen radikalen Bedeutungswandel durchgemacht, der eine Verständigung erheblich erschwert. Man denke nur an die politischen Schlüsselbegriffe Demokratie, Sozialismus, Frieden, Freiheit  oder Gerechtigkeit. Einer der noch immer vorherrschenden Schlüsselbegriffe ist "Toleranz". In einer pluralistisch-multikulturellen Gesellschaft sei ein geordnetes, friedliches Zusammenleben angeblich gar nicht anders möglich als durch die Beachtung des Prinzips "Toleranz".

Aber was ist "Toleranz"? Eine verbindliche Definition gibt es nicht - eben aus Toleranz. Sie wird ersetzt durch "Verständigungskategorien" und das Bestreben, Gemeinsamkeiten zu betonen und die entscheidenden Unterschiede hintanzustellen. Diese aus ideologischen Gründen nicht nur geduldete, sondern offen geförderte Praxis verstößt allerdings - weithin bewußt - gegen die eingangs zitierte Grundregel politischer und gesellschaftlicher Kommunikation. Das Wesentliche einer Sache bzw. eines Begriffs wird eben nicht durch ein noch so hohes Maß an "Übereinstimmungen" erkannt (wie zwischen Christentum und Islam), sondern durch möglicherweise noch so kleine qualitative Unterschiede. Die medizinischen Befunde zweier Patienten mögen zu 99 Prozent übereinstimmen; entscheidend für die Diagnose ist die Tatsache, daß bei einem Patienten einige Krebszellen festzustellen waren, bei dem anderen nicht. Es kommt also in allen wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen darauf an - sofern man einen anderen nicht täuschen will -, "die Ähnlichkeit der Dinge und ihre Unähnlichkeiten genau auseinanderzuhalten" (Platon).

Deshalb gehörte die Fähigkeit und Notwendigkeit der "Diakrisis" (der Geisterscheidung) einstmals zu den vornehmsten Aufgaben der Theologie und Philosophie, der Wissenschaften im allgemeinen und der Politik. Es wurde nicht nur exakt definiert, was man bekennt, sondern vor allem auch, was man nicht bekennt und als "Irrlehre" verwirft. In diesem Sinne hat der amerikanische Philosophieprofessor David Noe­bel mit außerordentlichem Geschick die Kernaussagen von Christentum und Islam, Humanismus und Marxismus, New Age, Esoterik und Postmodernismus zu zehn Fachgebieten einer vergleichenden Analyse unterzogen. Es sind dies Theologie, Philosophie, Ethik, Biologie, Soziologie, Recht, Politik, Wirtschaft und Geschichte.

Dabei gelangt er zu dem Ergebnis, daß das Christentum in allen genannten Bereichen im Laufe der Geschichte die überzeugenderen Beiträge zur menschlichen Daseinsgestaltung geliefert hat als die anderen Weltanschauungen, weil es von einem realistischen Welt- und Menschenverständnis ausgeht. Nirgends in der Bibel wird der Mensch in "romantischen Farben" dargestellt, sondern in seiner "abgrundtiefen Sündhaftigkeit". Die schrecklichen Verbrechen im Laufe der Geschichte bestätigen diese Sichtweise, die sich an den historisch nachweisbaren Fakten und nicht an ideologischen Fiktionen orientiert.

Dabei sollte allerdings nicht nur an den Kommunismus gedacht werden, der die "niederschmetterndsten Beispiele der sündigen menschlichen Natur geliefert hat", sondern auch an die Verbrechen, die im Namen von "Gleichheit-Freiheit-Brüderlichkeit" in den westlichen Demokratien verübt worden sind, zum Beispiel durch den Mord an Millionen ungeborenen Kindern bis auf den heutigen Tag. Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß Noebel gegen vorherrschende Dogmen unserer Mediokratie verstößt, allein schon wegen seiner Methode der vergleichenden Analyse. Aber auch deshalb ist sein Buch als zuverlässiger Wegweiser durch den Nebel des Zeitgeistes und durch das Trümmerfeld unserer traditionellen Werte und Ordnungen zu empfehlen. Dazu gehören neben den wichtigen Denkanstößen auch Hinweise auf weiterführende Literatur, darunter das angezeigte Buch von Hannsjosef Hohn, Verbandssyndikus und Professor für Arbeits- und Tarifrecht.

Hohn behandelt eine bislang weniger beachtete, aber eben deshalb höchst belangvolle Konsequenz der Toleranzideologie für Gesellschaft und Politik: den um sich greifenden Relativismus in Wissenschaft, Publizistik und Politik. Wenn alles gleich gültig ist, dann ist damit der Weg zur Gleichgültigkeit geebnet. Ignoranz, Indifferenzismus und Laizismus werden bewußt begünstigt, traditionelle Werte und Ordnungen werden ebenso bewußt als fundamentalistisch und "intolerant" denunziert und einem Prozeß der Zersetzung überlassen. Was fortan als "wahr" zu gelten hat, wird von den Medien und Parteizentralen diktiert. Die Realitäten und ihre Wirkungen auf das öffentliche Bewußtsein können je nach ideologischem Interesse manipuliert werden. Die Lüge läßt sich unter diesen Bedingungen nur noch schwer entlarven.

Die Verfassungsdiskussion in der Europäischen Union liefert die für diesen Sachverhalt notwendigen Belege. Sie läßt seit einiger Zeit bedenkliche Tendenzen zur Abkehr von einstmals demokratischen Selbstverständlichkeiten erkennen - und damit von den Grundlagen einer wirklich pluralistischen Gesellschaft. Ein alarmierendes Signal für die weitere Entwicklung wurde vor zwei Jahren mit den Auseinandersetzungen um den italienischen Politiker Rocco Buttiglione gesetzt. Seine Kandidatur für das Amt eines EU-Kommissars wurde abgelehnt, weil er sich als Katholik zu den Grundprinzipien der christlichen Moral bekennt. Die nachhaltig disziplinierenden Wirkungen dieser Entscheidung sind bis heute allenthalben spürbar. Mit den beiden angezeigten Büchern liegen wichtige Beiträge vor, diese Entwicklung in ihren Ursachen und Folgen zu verstehen - und möglicherweise ein Zeichen für die notwendige Umkehr zu setzen.

David A. Noebel: Kampf um Wahrheit. Die bedeutendsten Weltanschauungen im Vergleich. Resch Verlag, Gräfelding 2007, gebunden, 502 Seiten, 29,90 Euro

Hannsjosef Hohn: Toleranz und Relativismus im politischen Kräftefeld. Rückweg und Nachruf. August von Goethe Literaturverlag, Weimar 2006, gebunden, 310 Seiten, 17,40 Euro

Foto: Jindrich Štyrský, Racines (Wurzeln), Öl auf Leinwand, 1934: Begriffe sind inzwischen zu leeren Worthülsen verkommen


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