© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

Spaß an der Randale
Andreas Baader - Vom Bohemian zum Terroristen
Holger von Dobeneck

Im Sommer 1962 tobte in schwüler Juninacht in München-Schwabing auf der Leopoldstraße der erste Jugendaufstand der jungen Bundesrepublik. Eine Gruppe Straßenmusikanten spielte auf, und die Polizei spielte nicht mit und verhaftete auf rüde Weise viele Jugendliche und karrte sie in die Polizeireviere. Unter ihnen befand sich als Rädelsführer der Störer Andreas Baader.

Damit wurde Baaders Karriere als Staatsfeind auf eine noch unschuldig-spielerische Weise gestartet. Baaders Vater war ein promovierter Kunst- und Geschichtswissenschaftler, der früh im Krieg fiel. Baaders Mutter Anneliese versuchte vergeblich, ihrem Sohn eine bürgerliche Laufbahn zu eröffnen. Andreas versagte auf allen Schulen, erwies sich als hochallergisch gegen pädagogischen Druck und alle Leistungsanforderungen. Dabei war er nicht unambitioniert, doch in seiner reichen Phantasiewelt liefen andere Filme. Einer dieser Filme war der "Kampf um Algier". Hier klingt sein Lebensthema an, der kompromißlose Aufstand der Dritten Welt gegen das Kolonialsystem.

Es wird immer wieder auf die mediale Besessenheit Baaders hingewiesen. Er stilisierte sich gern selbst als eine Art James Dean oder Jean-Paul Belmondo. Dabei hat Baader einen ungewöhnlichen Hang zur Brutalität. In seinem exzessiven Kneipenleben "nordet er gerne Kneipen ein", das heißt er provoziert Schlägereien und zertrümmert Mobiliar. Seine erste Freundin ist Ellinor Michel, die wie eine deutsche Version von Juliette Greco wirkt. Mit ihr hat er später die gemeinsame Tochter Suse. Baader verkehrt, durch entfernte Verwandtschaft eingeführt, im Schwabinger Milieu. Hier ist man kunstsinnig und gerne eine wenig bohemehaft affektiert. Baader nimmt sofort exaltierte Gewohnheiten an, pudert sich sein Gesicht und protzt mit schnellen Autos auf rasanten Autokorsos.

Sein späterer Richter Theodor Prinzing, den Baader unflätigst in seinem ersten politischen Prozeß beschimpft, zieht auch aufgrund dieses Hintergrundes nicht ganz unberechtigt die Parallele zu einer anderen dubiosen Schwabinger Existenz: Auch bei Adolf Hitler paarte sich Kunstbewunderung mit Erfolglosigkeit und späterer Dominanz in einer Bewegung. Wie dieser ist auch Baader zu ungeheuren organisatorischen Leistungen fähig, was sich später bei der Koordinierung seines Umfelds aus dem Stammheimer Gefängnis zeigt.

Zu seiner großen politischen Form läuft er allerdings erst auf, als gewissermaßen Clyde auf seine Bonnie trifft, sich die Energien von Gudrun Ennslin und Andreas Baader kumulieren. Andreas Baader hat wie kein anderer die Phantasien der aufruhrbereiten studentischen Generation der 68er bewegt und wie kein anderer den Abscheu der bürgerlichen Klasse erregt. Er hat dem Staat den Krieg erklärt, und dieser reagierte ungewöhnlich scharf.  Seine politischen Gegenspieler Helmut Schmidt und Horst Herold versetzten auch seinetwegen den Staat stellenweise in den Ausnahmezustand. Bei der Aktion Wasserschlag wurden in ganz Deutschland Zu- und Ausfahrten der Autobahnen gesperrt, und manche Berliner Straßenzüge waren ein Meer von Grün.

Als die Kaperung der Lufthansa-Maschine "Landshut" in Mogadischu scheiterte, begann der letzte Akt in Baaders Inszenierung - der Republik wurde ein Massenselbstmord beschert und als Staatshinrichtung zu verkaufen versucht. Baader und seine RAF wirkten auf die Republik wie eine späte Neuaufführung von Dostojewskis "Dämonen".

Berühmte Figuren wie der Philosoph Jean-Paul Sartre nahmen unrühmliche Nebenrollen in Baaders Inszenierung ein. So faselte der schon Spuren von Debilität dokumentierende Franzose von faschistischen Zuständen, wobei er den kargen Gerichtsflur für Baaders Zelle hielt, die im Gegensatz dazu komfortabel ausgestattet war.

Bis heute hält das Faszinosum Baader und die RAF die Phantasie von Schriftstellern und Regisseuren besetzt. Ein Ende dieses Stückes ist noch gar nicht abzusehen, und manche Auguren sehen eine Wiedervorlage abgelebter Rhetorik in der Republik voraus.

Klaus Stern, Jörg Hermann: Andreas Baader. Das Leben eines Staatsfeindes. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2007, broschiert, 359 Seiten, 15 Euro


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