© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

Kratzer am Aushängeschild
Integration: Fernsehjournalistin wirft Sänger Muhabbet extremistische Tendenzen vor / Steinmeier gibt seinem Schützling Rückendeckung
Anni Mursula

Es sollte gut aussehen, als Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) vergangene Woche mit seinem französischen Amtskollegen Bernard Kouchner öffentlichwirksam demonstrierte, was Integration ist: In dem Berliner Studio der deutsch-türkischen Plattenfirma Plak Music nahmen sie ein Lied mit dem Rapper Muhabbet auf. Leger, mit hochgekrempelten Ärmeln sangen die Minister einen "Integrationssong" mit dem Titel "Deutschland". Das Lied - eine Mischung aus deutschem Text und orientalischen Klängen - sollte die deutsch-türkische Verständigung fördern.

Doch die PR-Aktion ging noch am selben Abend nach hinten los: In einem Bericht der ARD warf die Fernsehjournalistin Esther Schapira Muhabbet extremistische Tendenzen vor. Ihr gegenüber habe Muhabbet vor einigen Wochen den Mord an dem holländischen Regisseur Theo van Gogh verteidigt.

Dabei hatte alles so gut begonnen: Der türkischstämmige Muhabbet, der bürgerlich Murat Ersen heißt, galt bislang als Integrationswunder. Der 23jährige engagiert sich seit Jahren bei Projekten wie der Anti-Gewalt-Kampagne "Schau nicht weg!" der Jugendzeitschrift Bravo. So hat ihn auch die Bundesregierung schnell für sich entdeckt und ihn zum Aushängeschild für gelungene  Integration gemacht. Er ist bereits auf Veranstaltungen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Unicef-Botschafter aufgetreten und arbeitet seit 2006 mit dem Auswärtigen Amt zusammen für die deutsch-türkische Verständigung. Vor einem Jahr begleitete Muhabbet den deutschen Außenminister sogar auf einer Türkei-Reise.

Daß dieser Musterknabe nun doch nicht alle demokratischen Werte der deutschen Gesellschaft begriffen haben soll, will vor allem Steinmeier nicht hören. Schließlich würde das ein schlechtes Licht auf die Bundesregierung und ihr Urteilsvermögen in Sachen Integration werfen. Und so stärkt Steinmeier Muhabbet den Rücken und weist alle Vorwürfe Schapiras, Ressortleiterin Zeitgeschehen beim Hessischen Rundfunk, zurück: Muhabbet "hat sich immer gegen Gewalt ausgesprochen und für Integration", sagte Steinmeier vergangene Woche. Von der ARD dagegen hätte er sich "etwas mehr Zurückhaltung und etwas mehr Sorgfalt bei der Recherche" gewünscht.

Doch das will Schapira nicht akzeptieren. Schließlich wisse sie noch ganz genau, was sie gehört habe. Als ihr neuer Film "Der Tag, als Theo van Gogh ermordet wurde" am 20. Oktober einen Preis bei der "Prix Europe" erhielt, sei Muhabbet nach der Show zu ihr gekommen und habe gesagt: "Theo van Gogh hat noch Glück gehabt, daß er so schnell gestorben ist. Ich hätte ihn in den Keller gesperrt und gefoltert." Dann habe er hinzugefügt: "Auch Ayaan Hirsi Ali hat den Tod verdient." Muhabbet hätte sich vor allem über die unterschwellige emotionale Botschaft des Films geärgert, die er als anti-muslimisch empfand. Doch an seine Aussagen kann sich der Sänger heute nicht mehr erinnern. In der ARD sagte er, daß er "jeglichen Mordaufruf katastrophal" finde.

Daß Steinmeier sich vor seinen Schützling stellt, war keine Überraschung. Dennoch empfindet Schapira das Verhalten des Ministers als "unverschämt", wie sie der FAZ sagte. "Ich habe als Zeugin geschildert, was ich selbst gehört habe, dafür gibt es einen weiteren Zeugen, meinen Kollegen Kamil Taylan", sagte Schapira. Die Journalistin sei sogar bereit, unter Eid gegen Muhabbet auszusagen. Doch was folgt daraus? Die wenigen Reaktionen aus der Presse prallen an Steinmeier ab, und zu deutlicherer Kritik scheinen auch die meisten Medien nicht gewillt. Schließlich will keiner an dem Bild einer gelungenen Integration kratzen.

Foto: Steinmeier (SPD) und Muhabbet in einem Berliner Tonstudio: Schwere Vorwürfe gegen den Rapper


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen