© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 48/07 23. November 2007

Generation Spießbürger
Für die Folgen ihrer ideologischen Politik wollen die Grünen keine Verantwortung tragen
Thorsten Hinz

Die Grünen sind ohne Vorläufer in der deutschen Parteiengeschichte, also eine originäre Frucht der Bundesrepublik. Zwar existieren auch in anderen europäischen Ländern grüne Parteien, doch einen vergleichbaren Einfluß wie in Deutschland hat keine von ihnen erlangt. Bis tief in die neunziger Jahre haben sie - von ihrer Schockphase infolge von Mauerfall und Wiedervereinigung abgesehen - die gesellschaftspolitischen Themen in Deutschland (mit-)bestimmt. Das lag keineswegs an der Qualität ihrer Beiträge, vielmehr daran, daß viele Journalisten ihren Positionen nahestanden und noch der größten Absurdität das Etikett des Interessanten, Originellen, zumindest Authentischen anhefteten - ein uneinholbarer Vorteil in einer Mediengesellschaft!

Als sie sich im Januar 1980 aus Anti-AKW-, Umwelt- und Friedensgruppen konstituierten, war ihr Erscheinungsbild diffus und gab Raum für unterschiedlichste Erwartungen. Ihre Wirkung vor allem auf junge Wähler erklärte sich aus dem Protest gegen Umweltzerstörung und Aufrüstung und gegen die Vorherrschaft der Ökonomie über das Leben. Damit besetzten sie teilweise genuin konservative Themen, die tief in die deutsche Romantik zurückreichten. Sobald sie aber aus ihren Affekten konkrete Forderungen ableiteten: Abschied von der Industriegesellschaft, Auflösung der Bundeswehr, Austritt aus der Nato, die Dezimierung der Polizeikräfte usw., hätte deren Umsetzung den Bestand der Bundesrepublik gefährdet. Die Partei und ihre Wähler schienen sich indes darauf zu verlassen, den Wahrheitsbeweis gar nicht antreten zu müssen. Das verweist auf eine zweite, sehr deutsche Tradition: auf die machtgeschützte Innerlichkeit, die Kultivierung der Schönen Seele, die sich um die äußeren Umstände nicht zu kümmern braucht. Daß dieses politikferne Prinzip sich nun einen Platz im Parteienspektrum erkämpfen konnte, lag auch daran, daß die Bundesrepublik ein (gehätscheltes) Mündel der westlichen Vormacht war und gleichfalls innerhalb einer machtgeschützten Innerlichkeit lebte.

Doch war das nur die Hälfte der Wahrheit. Zum Zeitpunkt ihrer Gründung, als man die Grünen noch auf weltfremde Romantiker reduzierte, waren sie bereits von machtbewußten K-Gruppen-Aktivisten okkupiert worden. Deren Antifa-Ideologie und virtuosen Kaderpolitik hatten die konservativen Ökologen und romantischen Idealisten nichts entgegenzusetzen. Als Avantgarde der 68er-Bewegung rückte ein radikales, halbintellektuelles Proletariat nach vorn, das der Gewalt keineswegs abgeneigt war und die Politik für den eigenen sozialen Aufstieg nutze. Die These sei gewagt, daß dieses Milieu fünfzig Jahre früher in der SA einen vergleichbaren Aufstieg gesucht und gefunden hätte. Was machte die Grünen für diese Kader so attraktiv?

Ende der siebziger Jahre hatten sich die Hoffnungen auf den großen gesellschaftlichen Umbruch erledigt. Die Energien konzentrierten sich jetzt auf eine Kulturrevolution, die ins Innere der Menschen zielte, um sein Bewußtsein und auf diesem Umweg die politischen Kräfteverhältnisse zu verändern. Im Bündnis mit den Gleichgesinnten in den Medien und im Bildungssektor gelang den Grünen - und im weiteren Sinne den 68ern -, was keinem Romantiker, keinem konservativen Revolutionär auch nur annähernd gelungen war: Sie machten den Bezirk der Innerlichkeit, dieses deutsche Areal, zum politischen Kampfplatz, auf dem - überspitzt gesagt - allem, was vom geistigen Deutschland noch übriggeblieben war, der Garaus gemacht wurde.

Die Versatzstücke ihrer Fortschrittsideologie wurden moralisiert und damit gerade für junge Menschen unhintergehbar gemacht. Wenn die globalen Wanderungsbewegungen ein Risiko darstellten, dann machte das eben - aus Gründen universeller Gerechtigkeit - die multikulturelle Gesellschaft um so notwendiger. Der Kapitalismus wurde als Patriarchat definiert und der Feminismus als die neue, weiche Variante propagiert, die ihn von innen her überwand. Bundestagsabgeordnete mit Strickzeug waren der hauseigene Vorgriff auf das allseits befriedete Postpatriarchat. Bis heute dröhnen die Grünen, es müßten "männliche und weibliche Rollenspektren weiter aufgelöst werden". Doch Völker, deren Frauen vermännlichen und deren Männer weibisch werden, negieren zwei Grundvoraussetzungen ihres Fortbestands: die Fähigkeit zur natürlichen Reproduktion und zur Selbstverteidigung.

Unter diesen Umständen kann die Rede von der Verbürgerlichung der Grünen sich bloß auf Äußerlichkeiten stützen. Die rundlichen Parteivorsitzenden Claudia Roth und Reinhard Bütikofer unterscheiden sich deutlich von den hageren, fahlen Einpeitschern der achtziger Jahre und stellen ihre Lust am Wohlleben offen zur Schau. Im übrigen provozieren die Grünen kaum noch Debatten. Das ist auch nicht nötig, denn ihre Ideologie ist zum Selbstläufer geworden. Mit Bürgerlichkeit hat das freilich nichts zu tun. Bürgerlichkeit bedeutet, in der eigenen Person den Ausgleich zu schaffen zwischen privaten Interessen und öffentlicher Verantwortung.

Die Grünen aber erklären ihre privaten Interessen (zu denen auch die ideologischen Vorlieben gehören) einfach zu Angelegenheiten von öffentlicher Relevanz und schotten sich gleichzeitig vor den Folgen ihrer Politik ab. Gerade wurde in einem linksalternativen Viertel Bremens eine feine, aber illegale Grundschule entdeckt. Die Eltern wollten ihren Kindern das Elend der multikulturell frequentierten Staatsschulen ersparen. Ein Beispiel für die grünentypische Mischung aus Heuchelei, politischer Verantwortungslosigkeit und ideologischer Verbohrtheit.

Bei all dem geht es den Grünen-Wählern jedoch gut. Sie haben keinen Grund, in das Lager von Angela Merkel, Kurt Beck, Guido Westerwelle oder Gregor Gysi zu wechseln. Die Grünen haben also gute Aussichten, die Bundesrepublik bis an das Ende ihres Weges zu begleiten.


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