© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

Potsdams Lange Kerls: Zwischen Queen Elizabeth II. und West Point
Lebendige Tradition
Steffen Königer

Es muß schon ein klein wenig furchteinflößend gewesen sein, wenn auf dem Schlachtfeld preußische Soldaten zu sehen waren, die mit Hut fast zweieinhalb Meter maßen. Die Potsdamer Riesengarde erreichte wohl solche Höhen. Die Tradition der Langen Kerls geht auf Friedrich Wilhelm I. zurück, der das Rothe Bataillon Grenadiers aus der Taufe hob. 1707 machte er sie zum Leibbataillon, dem Langen Potsdamer Königsregiment No 6.

Stattliche sechs Fuß (1,88 Meter) mußten die Soldaten bereits bei der Rekrutierung messen - eine für das 18. Jahrhundert sehr ungewöhnliche Körpergröße. Vom "Soldatenkönig" wurden sie mit eigener Wohnung oder gar Haus reich beschenkt - heute sind noch Spuren in Potsdam auszumachen, so zum Beispiel im Holländer Viertel.

Erst lange Zeit nach dem bis 1740 regierenden König sollten die weißbeschuhten Soldaten mit den rot-blauen Uniformen und den spitzen Langmützen wieder auftauchen: Ausgerechnet in der DDR zierten ähnlich aussehende preußische Grenadiere wechselweise mit dem "Alten Fritz" Bierflaschenetiketten. Von Bildchen zurück in die Realität war es nach dem Fall der Mauer nur noch ein kleiner Schritt. 1990 gründeten wenige Gleichgesinnte die Garde der "Langen Kerls" neu, um so Potsdam wieder ein wenig an Tradition zurückzugeben. In ihrem Selbstverständnis sehen sie sich als "lebendiges Museum", wie der Netzseite www.lange-kerls.de zu entnehmen ist.

Matthias Leyer, seit zwei Jahren Vorsitzender des Vereins, konnte im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT zufrieden feststellen, daß es in der Öffentlichkeit wieder positive Resonanz auf die Bemühungen des Vereins gibt. Man habe zur Zeit mehr als 60 Mitglieder, mußte jedoch aufgrund der großen Nachfrage schon Auftritte absagen. Die vielen Buchungsanfragen in den letzten Jahren machten es notwendig. So wurde eine GmbH gegründet, denn soviel Aufwand und Nähe zum Original ist nicht gerade billig.

Am 3. November 2004 trat die Garde zum Beispiel für die englische Königin Elizabeth II. an, um sie majestätisch im Schloß Cecilienhof zu begrüßen. Seither exerziert man regelmäßig an jedem ersten Samstag im Monat auf dem Krongut Bornstedt - einen Steinwurf vom Schloß Sanssouci entfernt. Unter Klängen von Querflöte und Trommeln wähnt sich jeder Zuschauer in einer anderen Zeit, wenn eine Abordnung Stellung bezieht, die Musketen lädt und Salut schießt. Jeweils von 11 bis 15 Uhr kann das Regiment beim Üben der Exerziergriffe nach dem Original-Reglement von 1726 bewundert werden. Und Mann kann sich bei entsprechendem Wuchs auch gleich anwerben lassen.

Der Höhepunkt für alle Mitglieder des Vereins war jedoch die in diesem Jahr erstmals ergangene Einladung zur Steubenparade in die USA. Nun, 300 Jahre nach ihrer Gründung fuhr eine Abordnung von 55 Vereinsmitgliedern erst nach New York, um auf der Fifth Avenue unter den Augen vor hunderttausend Zuschauern aufzumarschieren (JF 38/07). Leyer berichtete erfreut über die Begeisterung, die die Langen Kerls im Anschluß in der Militärakademie West Point auslösten. Auch zur Steubenparade nach Philadelphia fuhr der Troß noch - für viele mehr als nur der Jahresurlaub, so Leyer.

Doch die Zeiten waren nicht immer so rosig. Als die Langen Kerls in den neunziger Jahren ihre Wachtparade regelmäßig in der Potsdamer Innenstadt  abhielten und einen Auflauf von Schaulustigen garantierten, gab es schnell heftigen Gegenwind. Im Sommer 1998 war soviel Ordnung der "Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär" zuviel; derlei "Mummenschanz und Militarismus" reichten zur Mobilmachung von wenigen Chaoten in der so gar nicht mehr preußischen Stadt aus. Die Polizei mußte die Parade gegen Störer in der Fußgängerzone schützen, Touristen - für die das Ganze eigentlich als Attraktion gedacht war - wurden durch Buttersäureattacken nachhaltig vertrieben. Als dann noch sehr kurzgeschorene Jugendliche sich als "Wachschutz" vor die Parade stellten, wurde es den Verantwortlichen zuviel: Die Kompanie zog sich zurück, um sich nicht vor irgendeinen Karren spannen zu lassen. In Internetforen frohlocken noch heute Linksextreme über die "Blauhelmeinsätze" gegen die Riesengarde.

Der 1,91 Meter große Vorsitzende ist jedoch guten Mutes: "Seither hat sich nichts mehr dergleichen ereignet." Zum Optimismus hat er allen Grund, denn seit am 3. Oktober 2006 die Riesengarde das Bundesland Brandenburg in London präsentieren durfte, haben sich nicht nur politisch Verantwortliche, sondern sogar der RBB auf die Seite der Leibgarde von Friedrich Wilhelm I. geschlagen.


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