© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Raserei
Karl Heinzen

Eine Studie des Instituts für Arbeitspsychologie an der Universität Neuenburg in der Schweiz hat nun wissenschaftlich belegt, was als Alltagserfahrung in den motorisierten Nationen schon lange bekannt ist: Als notorische Raser im Straßenverkehr und damit signifikante Risikogruppe lassen sich vor allem junge oder sich zumindest jugendlich fühlende Männer identifizieren, die meinen, nur auf diese Weise ihrem maskulinen Selbstverständnis gerecht werden zu können. In dem Versuch wurden den Testpersonen in einem Fahrsimulator aus einem Autoradio Wörter mit männlicher, weiblicher oder neutraler Konnotation vorgespielt. Hörten sie Begriffe wie "Muskeln", "Ehrgeiz" oder "Tarzan" legten sie ein deutlich risikofreudigeres Fahrverhalten an den Tag, als wenn sie etwa "Lippenstift", "Absätze" oder "Strümpfe" vernahmen.

Als ein Versuch, aus der Studie Schlußfolgerungen für eine bessere Unfallprävention zu ziehen, wird eine Kampagne vorgeschlagen, die das Bewußtsein dafür schärfen soll, daß Geschwindigkeit eigentlich gar nicht notwendigerweise mit Männlichkeit verknüpft sein muß. Diese Idee läßt jedoch außer Betracht, daß hinter der Raserei im Straßenverkehr letztendlich keine Vernunftentscheidung steht, sich seiner geschlechtlichen Identität gemäß verhalten zu wollen, sondern vielmehr eine Mentalität, die in erster Linie evolutionsgeschichtlich zu erklären ist und daher in faßbaren Zeiträumen nicht beeinflußt werden kann.

Ein pragmatischerer Weg wäre es, das während der Fahrt zugängliche Radioprogramm in einer Weise zu steuern, daß es besänftigend auf den Fahrer wirkt und ihn nicht dazu anstachelt, seine männlich-destruktive Ader auszuleben. Zu denken wäre etwa daran, die Sportberichterstattung grundsätzlich auszusetzen und auch jene Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nicht länger zu berücksichtigen, die wie etwa Krieg und Terrorismus, Börse oder Technik maskulin geprägt sind. Musikalisch sollte alles vermieden werden, was dazu motivieren könnte, die Machoallüren eines Rockstars hinter dem Steuer nachzuahmen.

Die Hoffnung, in der Eindämmung männlichen Fehlverhaltens ganz ohne Sanktionen auskommen zu können, wäre jedoch blauäugig. Unsere moderne Gesellschaft ist mehr und mehr weiblich geprägt. Männern, die eine Sozialisation verweigern, weil sie meinen, archaische und überholte Verhaltensmuster kopieren zu dürfen, muß, auch in ihrem eigenen Interesse, notfalls mit staatlicher Gewalt auf die Sprünge geholfen werden. Weibliche Toleranz wäre hier eindeutig fehl am Platze.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen