© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 46/07 09. November 2007

Tunnelblick
Neu auf DVD: "Manufacturing Dissent" von Debbie Melnyk
Silke Lührmann

Michael Moore kann man entweder lieben oder hassen: Immerhin dieses Feuilleton-Klischee stellt Debbie Melnyks und Rick Caines Enthüllungsfilm "Manufacturing Dissent" als glatte Lüge bloß. Tatsächlich schimmert die Palette der Reaktionen auf das fleischgewordene alteuropäische Ami-Stereotyp in Jeans und Baseball-Cap in prachtvollsten Grautönen. Man kann Moores politische Ansichten teilen, ohne seine Holzhammer-Methoden gutzuheißen. Man kann mit Mike Golf spielen und Michaels Laufbahn mit Befremden verfolgen.

Man kann Moores Stil kritisieren, indem man ihn imitiert. Und man kann seine Filme erklärtermaßen bewundern und - völlig zu Recht - pikiert sein, mit Interviewanfragen ständig abzublitzen. Neben Meinungsäußerungen von Freunden, Ex-Freunden und solchen, die Moore schon immer als Scharlatan durchschaut haben, sowie Ausschnitten seiner eigenen Filme besteht Melnyks und Caines Doku vor allem aus immer wieder vergeblichen Versuchen, ihn an ihr Mikrophon zu bekommen. Dazu folgen sie Moore im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2004 bei seinen Auftritten an amerikanischen Universitäten, um Jungwähler zu mobilisieren.

Pate stand das Drehbuch von Moores "Roger & Me" (1989), dessen zentrales Motiv - Moores stets frustrierter Versuch, Roger Smith an sein Mikrophon zu bekommen - auf einer Entstellung der Fakten beruhte, wie Melnyk und Caine nachweisen: In Wirklichkeit habe Moore sogar zwei Gespräche mit dem damaligen Vorstandsvorsitzenden von General Motors geführt.

Ab und an versucht sich Melnyk an jener Art von Powerpoint-Polemik, die Moore perfektioniert hat: Bilder werden mit plakativen Aussagen in Riesenlettern überblendet. Daß ihr derartige Demagogie anders als Moore spürbar peinlich ist, geht freilich zu Lasten ihrer Überzeugungskraft.

Als heimlicher Held von Melnyks und Caines Film erweist sich Ralph Nader, der Buhmann vieler Bush-Hasser, seit er 2000 Al Gore 1,6 Prozent der Stimmen und damit die Präsidentschaft kostete. Nach einer unrühmlichen Episode als Chefredakteur der linken Zeitschrift Mother Jones in San Francisco, die Moore viele Feinde und eine vor Gericht eingeklagte Abfindung in Höhe von 58.000 Dollar bescherte, nahm Nader ihn auf Drängen seines Mitarbeiters Jim Musselman unter seine Fittiche. Moore sollte es ihm mit politischem Verrat danken.

Das alles ist nicht schön, aber auch nicht so richtig skandalös. Daß Moore zuvorderst ein politisches statt journalistisches Anliegen verfolgt, war indes lange kein Geheimnis mehr. Frühere Pioniere des Dokumentarfilms wie Albert Maysles und Errol Morris (beide kommen kurz zu Wort) bemühen sich um objektive Präsentation und bleiben als Regisseure im Off. Moore hingegen benutzt die Kamera, um Meinung in Szene zu setzen. Was nicht in sein Weltbild paßt, wird ausgeblendet, der Blickwinkel des Zuschauers auf Moores eigenen verengt.

"Hier stehe ich, so sehe ich die Welt": Man mag das für den ehrlicheren Ansatz halten - ist doch die Linse stets nur das Auge  dessen, der hindurchschaut, Wirklichkeit eine Frage der Perspektive - oder aber für üble Manipulation. Allemal hätte hier eine aufschlußreiche Diskussion über Wesen und Anspruch des Dokumentarfilms anknüpfen können, die aber in Soundbites erstickt. Hierzulande, wo man Moores Filme eher ihres Unterhaltungs- als ihres informativen Wertes wegen schätzt - oder eben nicht -, dürfte diese DVD auf begrenztes Interesse stoßen.   

DVD: Manufacturing Dissent, Sunfilm Entertainment, München 2007, Lauflänge: ca. 75 Minuten

Foto: Michael Moore: Alles nur eine Frage der Perspektive?


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