© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/07 02. November 2007

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Bürokratie
Karl Heinzen

In ihrem ersten Bericht zum Bürokratieabbau beziffert die Bundesregierung die Kosten, die der Wirtschaft durch die ihr von Berlin und Brüssel auferlegten Dokumentations- und Meldepflichten entstehen, auf den stolzen Betrag von 40 Milliarden Euro pro Jahr. Da die von den Unternehmen bereitgestellten Unterlagen ja auch noch durch besoldete Bedienstete des Staates geprüft und bearbeitet werden müssen, sind die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten der Bürokratie in Wahrheit deutlich höher zu veranschlagen.

Was läge also näher, als das Vorhaben der Bundesregierung zu begrüßen, derartige Belastungen der Wirtschaft bis zum Jahr 2011 um ein Viertel abzubauen? Tatsächlich entstünde auf den ersten Blick ja eine jener "Win-win"-Situationen, die allüberall so beliebt sind: Die Unternehmen könnten ihre Erträge durch Kostenreduzierungen steigern. Der Staat wiederum würde an diesen Ertragssteigerungen durch höhere Steuereinnahmen partizipieren und könnte zudem den Personalabbau in der Finanzverwaltung fortsetzen.

In genauerer Betrachtung erweist sich das Gedankenspiel jedoch als eine Milchmädchenrechnung: Den Löwenanteil der Kosten, die in der Bewältigung bürokratischer Auflagen entstehen, machen in den Unternehmen die Gehälter jener Mitarbeiter aus, die mit dieser Aufgabe befaßt sind. Entzieht man ihnen die Grundlage ihrer Betätigung, werden sie von ihren Arbeitgebern freigesetzt. Für manche von ihnen ließen sich auf dem zweiten Arbeitsmarkt vielleicht Stellen schaffen, zum Beispiel in neu zu gründenden, staatlich finanzierten Institutionen, die mit der Verwaltung des Bürokratieabbaus betraut sind. Die allermeisten jedoch wären auf die Arbeitslosenunterstützung verwiesen. Alle miteinander blieben sie also in gesamtwirtschaftlicher Betrachtung als dauernden Kostenfaktoren erhalten, es sei denn, sie entzögen sich durch Auswanderung in ferne Gefilde dem Geltungsbereich des Bruttoinlandsproduktes. Darüber hinaus drohten ganze Branchen wie Steuerberater und Wirtschaftsprüfer in eine Schieflage zu geraten, es würden somit nicht bloß Arbeitnehmer, sondern sogar Arbeitgeber in Mitleidenschaft gezogen.

Nicht zuletzt gibt es aber auch ein viel grundsätzliches Argument, mit dem man den Stammtischforderungen nach Bürokratieabbau entgegentreten sollte: Die Komplexität des modernen Wirtschaftslebens läßt sich nur dann beherrschen, wenn seine Vorgänge im einzelnen für die Verantwortlichen, und hier gerade auch jene in den Unternehmen, nachvollziehbar bleiben. Das Instrumentarium dafür ist und bleibt nun einmal die Bürokratie.


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