© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/07 26. Oktober 2007

Geheuchelte Eintracht
von Bernd-Thomas Ramb

Die kindlich-enthusiastische Freude der Kanzlerin und das allseitige Umarmen und Küssen anläßlich der Lissaboner Einigung über den EU-Vertragsentwurf erinnerten an Weihnachten. Die Über-Mutter freut sich über die geheuchelte Eintracht und den oberflächlichen Frieden in der großen Verwandtschaft. Das läßt man sich schon das eine oder andere Extrageschenk kosten. Mit realistischer Sicht hat das wenig zu tun, geschweige denn mit einem zukunftsträchtigen Konzept für ein ehrliches Europa. (Auf-)richtig am Lissabon-Vertragsentwurf ist allein, daß die Ausweitung der Mehrheitsabstimmungen der EU einen größeren Handlungsspielraum eröffnet. Doch wie und wozu?

Der Entwurf kündigt eine verstärkte Kompetenzverlagerung von den nationalen Regierungen zur Brüsseler Zentralverwaltung an, die nationalen Eigenwerte werden dem gleichförmigen Mittelmaß geopfert. Ebenso unausweichlich sind künftige Entscheidungen gegen den Willen von Minderheiten. Daran ändert auch die von Polen erzwungene Ausweitung der Verzögerungsmöglichkeit nichts. Gänzlich verlogen ist dagegen die Vorspiegelung von mehr Demokratie durch Ausweitung der Kompetenzen des EU-Parlaments. Dazu müßte dieses Parlament demokratischen Grundprinzipien genügen. Immer noch aber ist in Straßburg ein Deutscher weniger wert als jeder Bürger kleinerer Staaten. Das läßt erahnen, auf wessen Kosten künftig mehrheitliche Abstimmungen erfolgen. Das deutsche Parlament will dies noch vor Jahresende gutheißen - ohne die Bürger zu befragen.


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