© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Bewältigungskomödie
Neu auf DVD: In "Wir Wunderkinder" stiehlt der Bösewicht die Schau
Martin Lichtmesz

Die fünfziger Jahre gelten heute als biedersinniger Tiefpunkt der deutschen Filmgeschichte. Diese wurde freilich wie üblich von den Siegern geschrieben, in diesem Fall also der Generation des "Oberhausener Manifests". "Wir Wunderkinder" von 1958 allerdings ist einer der wenigen Filme, die vom Etikett "Opas Kino" verschont blieben, und das hat seine guten Gründe. Die auf einem Roman von Hugo Hartung basierende Satire bot als einer der ersten "Bewältigungsfilme" Umerziehungs-Schablonen an, die sich allmählich zum bundesrepublikanischen Gemeingut durchsetzen sollten.

Beginnend im Jahre 1913 schildert der Film den Lebensweg zweier Schulfreunde und konzentriert sich dabei auf die Jahre unmittelbar vor und während des "Dritten Reichs". Während der aufrechte Hans Boeckel (der unlängst verstorbene Hansjörg Felmy) allen Versuchungen des Konformismus entgeht und dafür massive Benachteiligungen in Kauf nimmt, erpöbelt sich sein Antipode Bruno Tiches (Robert Graf) mit Hilfe seiner Parteimitgliedschaft eine lukrative Karriere - die sich auch nach 1945 steil fortsetzt. Der naßforsche Opportunist ist ein ewig obenauf schwimmendes Fettauge, ebenso wie Mama Meisegeier (Elisabeth Flickenschildt) und ihre von mehreren Vätern gezeugten fünf Kinder. In einem Akt ausgleichender Gerechtigkeit gelangt Boeckel nach dem Krieg jedoch mit amerikanischer Hilfe an die Spitze einer einflußreichen Zeitung. In dieser Position deckt er nun Tiches' nationalsozialistische Vergangenheit auf.

"Wir Wunderkinder" ist eine flott inszenierte, bissige Komödie, die sich indessen hervorragend für eine "ideologiekritische" Analyse der Vergangenheitsbewältigung eignet. Die Nazis sind durchgehend arrogante und primitive Emporkömmlinge aus dem Proletariat und aus zwielichtigen "Milljöhs", während die Stimme der Vernunft durch einen besonnenen Akademiker aus dem Mittelstand repräsentiert wird. Hansjörg Felmys ethisch makelloser Boeckel hat den Nationalsozialismus mit ernstem Gesicht von Anfang an durchschaut und tut und denkt stets das Richtige: zu perfekt, um wahr zu sein. Dieser Blaupause "korrekten" Verhaltens folgte zuletzt Maria Furtwängler in dem TV-Drama "Die Flucht" (JF 10/07). Demgegenüber hatte Robert Graf leichtes Spiel, mit seinem jovialen Bösewicht dem Star Felmy die Schau zu stehlen.

Der Film suggeriert eine Kontinuität deutscher Großmannssucht vom "Untertan" des späten Kaiserreichs bis zum satten "Wir sind wieder Wer"-Bürger des Wirtschaftswunders. Ein wiederkehrendes Motiv sind dabei Großaufnahmen von blöde brüllenden Mündern: In den deutschen Köpfen, so die Botschaft, hat sich nichts geändert, nur die Kostümierung hat gewechselt. Am Ende plädiert der Film für eine Säuberung der bundesdeutschen Eliten von "Nazibuben".

Die Wirklichkeit der Nachkriegsjahre und die Rolle der "Ehemaligen" darin war natürlich viel komplizierter. Ebenso die Weimarer Zeit: Man vergleiche diesbezüglich etwa den teilweise autobiographisch geprägten Roman "Die jungen Männer" (1960) von Joachim Fernau mit Hartungs Filmvorlage.

Nichtsdestotrotz ist "Wir Wunderkinder" auch heute noch ein von Anfang bis Ende kurzweiliges Vergnügen. Neben Johanna von Koczian in der weiblichen Hauptrolle tauchen am Rande noch andere bekannte Gesichter auf: etwa Ingrid van Bergen, Horst Tappert und die hinreißende Liesl Karlstadt. Für musikalische Einlagen sorgen die beiden Kabarett-Legenden Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller, deren Präsenz allein den Film sehenswert macht. Regie führte Kurt Hoffmann, der auch für Klassiker wie "Quax, der Bruchpilot" (1941) und "Das Wirtshaus im Spessart" (1957) verantwortlich zeichnet.

Foto: Wolfgang Müller (l.) und Wolfgang Neuss: Sehenswerte musikalische Einlagen der beiden Kabarettisten


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen