© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Alle gegen einen
Schweiz: Die SVP ist die erfolgreichste und stabilste Rechtspartei Europas / Blocher dominiert den Wahlkampf
Jörg Fischer

Ausländerinnen und Ausländer "verlieren unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie: wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, wegen einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdelikts, wegen eines anderen Gewaltdelikts wie Raub, wegen Menschenhandels, Drogenhandels oder eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt worden sind oder mißbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben", heißt es in einer im Juli gestarteten Volksinitiative zur Änderung der Bundesverfassung. Drei Monate später haben bereits etwa 200.000 Schweizer die "Ausschaffungsinitiative" unterschrieben. Die Schweizerische Volkspartei (SVP) hat seither etwa 2.000 neue Mitglieder gewonnen und eine halbe Million Franken zusätzliche Spenden erhalten.

Kritik an Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit

Das dazu passende SVP-Wahlplakat mit den drei weißen und dem schwarzen Schaf, das mit einem Tritt verstoßen wird, hat nicht nur für heftige Reaktion in der Eidgenossenschaft, sondern sogar weltweit für Aufsehen gesorgt: Der Uno-Sonderberichterstatter für Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Diskriminierung, Doudou Diène, forderte sogar den Rückzug des "Schäfchen-Plakats", denn es provoziere Rassen- und Religionshaß. Die Freiheit der Meinungsäußerung dürfe nicht dazu mißbraucht werden, dies zu schüren, erklärte der senegalesische Jurist. Diène verurteilte zudem die ebenfalls von SVP-Politikern lancierte Volksinitiative "Gegen den Bau von Minaretten", mit der die "Ausbreitung des Islam gebremst" werden soll (JF 22/07).

Auch die Ausschreitungen der "linken Chaoten-Brut" (Schweizerzeit), die zwei Wochen vor den National- und Ständeratswahlen vom kommenden Sonntag aus ganz Europa in die Berner Innenstadt gekommen war, um eine Wahlkampfveranstaltung von etwa 10.000 SVP-Anhängern zu verhindern, machten international Schlagzeilen. Der Tenor der Berichte war fast einhellig: Nicht die paar hundert linken "Autonomen" seien für die Gewalt verantwortlich, sondern die SVP trage quasi selbst die Schuld - ihre "aggressive" Wahlkampagne habe die Spannungen ja erst provoziert. Das schweizerische Wahlvolk hingegen scheint durch die Auseinandersetzung immer stärker polarisiert zu werden.

Laut aktuellen Meinungsumfragen, die in der Schweiz meist recht genau sind, kann die rechtsnationale SVP mit Stimmengewinnen rechnen, sie wird mit über 27 bis 28 Prozent wohl erneut mit Abstand stärkste Partei. Auf der anderen Seite des politischen Spektrums können die linken Grünen (etwa 12,5 Prozent) und die linkskatholische Christlichdemokratische Volkspartei (CVP/etwa 15,5 Prozent) mit Stimmengewinnen rechnen. Die Sozialdemokraten (SP), die mit ihrer Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (sie führt das Außenressort und ist in diesem Jahr turnusmäßig Bundespräsidentin) die Speerspitze im "Kampf" gegen die SVP bilden, können von ihrem Elan aber nicht profitieren - sie müssen mit Verlusten rechnen und sich wahrscheinlich mit etwa 21,5 Prozent begnügen.

Auch der bürgerlich-liberalen FDP bekommt ihr Anti-SVP-Kurs nicht, den Freisinnigen werden nur noch 15,5 Prozent zugetraut. Das könnte einen erneuten Streit um die Zusammensetzung des siebenköpfigen Bundesrates (die kollegiale Regierung) auslösen. In ihm haben seit der letzten Wahl 2003 SVP, SP und FDP je zwei Departements inne, die geschwächte CVP erstmals nur eines. In den Jahrzehnten zuvor war es, entsprechend der langjährigen "Zauberformel", die erst 1971 gegründete SVP gewesen. Doch als inzwischen stärkster Partei konnte man ihr einen zweiten Bundesrat nicht verwehren. Seit 2004 führt daher Christoph Blocher das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement. Der 67jährige Jurist, der sich als Sohn eines Dorfpfarrers mit elf Kindern vom einfachen Bauern zum Chef der Ems-Chemie Holding hocharbeitete und dem Unternehmen Milliardengewinne bescherte, betätigte sich nebenher schon immer politisch. 1977, als die SVP mit knapp zehn Prozent noch die kleinste Bundesratspartei war, wurde Blocher Parteichef im Kanton Zürich. 2003, als er dieses Amt aufgab, hatte sich der SVP-Stimmanteil fast verdreifacht. An der Spitze stand Blocher nie (SVP-Präsident ist seit 1996 Ueli Maurer), aber die erfolgreichen SVP-Kampagnen gegen den Uno-Beitritt (1986) oder gegen den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) verbinden sich maßgeblich mit seinem Namen.

Erfolgreiche Wirtschaftspragmatische Außenpolitik

Im In- und Ausland wird Blocher gern mit Jörg Haider, Jean-Marie Le Pen, Pim Fortuyn, Silvio Berlusconi oder jüngst sogar dem "Duce" verglichen - doch gibt es allenfalls in Einzelfragen echte Parallelen. Nicht ohne Grund hat die SVP keine ausländische "Schwesterpartei". Als international erfolgreicher Unternehmer (die Ems-Aktienmehrheit haben seit 2003 seine Kinder) ist Blocher einerseits ein alter Wirtschaftsliberaler: für einen schlanken, aber effizienten Staat, Bürokratieabbau und freien Welthandel. Er kämpft gegen die "korrupte politische Klasse" und den Sozialleistungsmißbrauch. Als fast Libertärer verteidigt er vehement das Recht auf freie Meinungsäußerung, das er durch die auch in der Schweiz grassierende Political Correctness bedroht sieht.

Andererseits spricht er die oft nicht zimperliche "Sprache des kleinen Mannes", wenn es um Themen wie Asyl, Einwanderung, Heimat, Überfremdung oder Kriminalitätsbekämpfung geht. Außenpolitisch ist er gegen den EU-, Euro- oder gar Nato-Beitritt. Er verteidigt die schweizerische Neutralität (die zwei Weltkriege überstand) gegen alle Weltbeglückungsphantasien, die einst in Moskau und nun in Washington und Brüssel geschmiedet werden - nach dem Motto: "Man ist überall dabei, nirgends wirklich drin und hält sich alle Türen offen", schrieb kürzlich die Zürcher Weltwoche.

Dieser Verzicht auf außenpolitische Ambitionen habe die Schweiz "reich und ungefährlich" gemacht. Der pragmatisch-selbstbewußte "Schweizer Kapitalismus" läßt die Wirtschaft gedeihen und ermöglicht Löhne, die weit über denen in Deutschland oder Österreich liegen. Daher wählen am 21. Oktober auch viele Arbeiter SVP - und echte Linksparteien wie die PvA verharren weiter im Ein-Prozent-Ghetto.

Foto: Verunstaltete SVP-Plakate: "Man ist überall dabei, nirgends wirklich drin und hält sich alle Türen offen"


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