© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Eine unendliche Geschichte
Zentrum gegen Vertreibungen: Seit 1999 bemühen sich die Vertriebenen vergeblich um den Bau einer nationalen Gedenkstätte / Eine Bestandsaufnahme
Peter Freitag

Ist in anderen Staaten die Herausstellung des vom eigenen Volk erlittenen Schicksals im öffentlichen Gedenken eine Selbstverständlichkeit, so scheint ein entsprechendes Vorhaben hierzulande nicht ohne eine geschichtspolitische Debatte möglich zu sein. Aktuelles Beispiel ist der mittlerweile siebenjährige Streit um die Frage, ob in der deutschen Hauptstadt eine Gedenk- und Dokumentationsstätte über die Vertreibung der Deutschen eingerichtet werden soll.

Bereits im März 1999 hatte der Vorstand des Bundes der Vertriebenen (BdV) beschlossen, eine zentrale Einrichtung zur Dokumentation der Vertreibung "auf den Weg zu bringen", gut ein Jahr später stimmte man der Konzeption einer Stiftung zu, die im September 2000 unter dem Namen "Zentrum gegen Vertreibungen" (ZgV) gegründet wurde. Den Vorsitz übernahmen die BdV-Präsidentin und CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach sowie der 2005 verstorbene frühere SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz.

Im Mittelpunkt des ZgV soll das Schicksal der 15 Millionen deutschen Heimatvertriebenen stehen, insbesondere der 2,5 Millionen Menschen, die Zwangsarbeit, Vergewaltigung und Deportation nicht überlebten. Platz in der Dokumentation finde laut Angaben des Stiftungsvorstandes jedoch auch eine Würdigung der gelungenen Integration der Heimatvertriebenen. In einer "Requiem-Rotunde" soll neben der wissenschaftlichen und musealen Aufarbeitung Raum für "Trauer, Anteilnahme und Verzeihen" gegeben werden. An dritter Stelle in den Vorschlägen der Stiftung steht die Dokumentation weiterer Genozide, "ethnischer Säuberungen" und Vertreibungen, von denen während des 20. Jahrhunderts allein in Europa über 30 Volksgruppen betroffen waren. Mit einem "Plädoyer für die Unteilbarkeit der Menschenrechte" will das Zentrum gegen solche Verbrechen Stellung beziehen und ihrer Opfer gedenken. Ein erster Schritt zur Verwirklichung dieses Konzepts war die Wanderausstellung "Erzwungene Wege - Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts".

Lautstarke Kritiker melden sich zu Wort

Doch auch solche Erweiterungen über die "deutsche Opferperspektive" hinaus konnten dem Vorhaben in den Augen seiner - nicht gerade zahlreichen, aber um so lautstärker auftretenden - Kritiker nicht den Hautgout von "Revanchismus" oder "Geschichtsrevisionismus" nehmen. Bei der rot-grünen Regierung fielen derartige Bedenken auf fruchtbaren Boden, weshalb sie eine in Berlin ansässige Gedenkstätte stets abgelehnt und statt dessen ein "Europäisches Netzwerk Erinnerung und Solidarität" initiiert hatte, bei dem ein spezifisch deutscher Standpunkt vermieden werden sollte.

Besonders der sozialdemokratische Bundestagsabgeordnete Markus Meckel tritt als einer der schärfsten Kritiker des vom Bund der Vertriebenen vorgeschlagenen Konzeptes auf. "Wir wenden uns gegen ein nationales Projekt und werden uns für ein gemeinsames Herangehen mit unseren europäischen Partnern entscheiden", so Meckel in einer Bundestagsdebatte zum Zentrum gegen Vertreibungen im Juli 2002. Auch die Wahl des Standortes will der letzte DDR-Außenminister "in einem europäischen Dialog" abstimmen lassen: "Die Zukunft wird zeigen, ob es in Polen ein Interesse gibt, sich an diesem Projekt zu beteiligen und möglicherweise sogar Breslau als Ort des Sitzes vorzuschlagen", meinte Meckel in der Debatte. Als Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Parlamentariergruppe machte er sich die Vorbehalte der polnischen Offiziellen gegen das ZgV zu eigen. Unter Rückgriff auf die Unterstellung einer deutschen Kollektivschuld und gleichlautend wie nationalistische polnische Politiker kritisierte er in einem Rundfunkinterview, daß im Falle der Verwirklichung einer solchen in Berlin beheimateten Gedenk- und Forschungseinrichtung "sozusagen diejenigen, die den Zweiten Weltkrieg, die den Holocaust gemacht haben, die Millionen Polen umgebracht haben, die einen Vernichtungskrieg geführt haben, daß wir plötzlich uns als Opfer darstellen wollen".

"Sichtbares Zeichen" läßt auf sich warten

Die Unionsparteien sprachen sich dagegen vor der Bundestagswahl 2005 klar für das ZgV aus: "Wir wollen im Geiste der Versöhnung mit dem Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin ein Zeichen setzen, um an das Unrecht von Vertreibung zu erinnern und gleichzeitig Vertreibung für immer zu ächten", heißt es im entsprechenden Passus. Da jedoch keine bürgerliche Mehrheit zustande kam, mußten CDU und CSU von einer baldigen Verwirklichung wieder Abstand nehmen. Für den Koalitionsvertrag fanden sie mit der SPD eine Kompromißformel, nach der in Verbindung mit dem Europäischen Netzwerk auch in Berlin ein "sichtbares Zeichen" zur Erinnerung an die Vertreibung gesetzt werden soll. Seitdem hat sich im wesentlichen nichts getan, was auf ein baldiges Setzen dieses "Zeichens" hindeutet.

Im Juli kritisierte der wissenschaftliche Beirat des ZgV, dem unter anderen die Historiker Arnulf Baring und Michael Wolffsohn sowie der Völkerrechtler Alfred de Zayas angehören, die mangelnde Einbindung der Stiftung in die Planungen für das "sichtbare Zeichen" in Berlin, das laut Koalitionsvertrag zu errichten ist: Ohne eine "Einbeziehung der Betroffenen" sei eine Versöhnung nicht möglich, heißt es in einem Schreiben. Darin verweisen die Wissenschaftler auch darauf, daß sie schließlich die - noch unter rot-grüner Regierung - vorgenommene Verknüpfung mit dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität begrüßt hätten.

Dieses Zugeständnis hat jedoch weder eine Entspannung bei den Regierungen Polens oder Tschechiens noch ein Einlenken der ZgV-Gegner in der SPD zur Folge gehabt. Bei den Christdemokraten scheint man wiederum nicht bereit zu sein, für dieses Thema einen Koalitionskrach zu riskieren. Die Folge wäre: ein europäisiertes "Zeichen gegen Vertreibung" ohne die institutionelle Einbeziehung der deutschen Vertriebenen.


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