© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/07 19. Oktober 2007

Erziehung und Familie
Die Dialektik staatlicher Hilfe
Dieter Stein

In der jüngsten Sendung von Anne Will, Sonntagabend in der ARD (Nachfolgesendung von Sabine Christiansen), ging es um die Misere deutscher Bildung und Erziehung. Aufhänger für dieses Thema war die Verleihung der Nobelpreise für Chemie und Physik 2007 an die deutschen Wissenschaftler Gerhard Ertl und Peter Grünberg sowie die Ergebnisse jüngster Pisa- und OECD-Studien. Hoch im Kurs standen auch in dieser Sendung Forderungen, das traditionelle dreigliedrige Schulsystem in Deutschland zu zerschlagen und durch eine staatliche Einheitsschule zu ersetzen.

Im Beisein der frischgebackenen Nobelpreisträger gab der SPD-Bildungsfachmann Karl Lauterbach die schizophrene Parole aus, durch noch stärkere Egalisierung im Bildungssystem könne man die Zahl potentieller Nobelpreisträger erhöhen. Wörtlich beklagte er, daß nach wie vor Beamte und Akademiker zu einem hohen Prozentsatz ihre Kinder auf das Gymnasium schicken könnten, obwohl deren Begabung nicht höher liege als diejenige von Kindern aus Arbeiterfamilien, die die Hauptschulen füllten. Also alle zwangsweise zusammenpferchen? Irrsinn: Schon jetzt vollziehen die Eltern, die es sich leisten können, eine Abstimmung mit den Füßen und flüchten vor den durch antiautoritäre Experimente und Spaßpädagogik ruinierten staatlichen Schulen und vor Klassen mit hohem Ausländeranteil in Scharen zur privaten Konkurrenz.

Es ist eine uralte Klage, daß Kinder aus "besserem Hause" auch bessere Chancen in ihrer Schullaufbahn haben. Warum sollte das aber eigentlich anders sein? Es ist eine Kulturleistung eines Volkes, gebildete, leistungsstarke, intakte Familienstrukturen hervorzubringen. Der Staat hat sich in fast allen Kulturnationen deshalb an allererster Stelle dazu verpflichtet, den Stand der Familie zu schützen. Die Familie ist der erste und wichtigste Ort, an dem Kinder ihre Prägung und Bildung erfahren. Hier lernen sie ihre Muttersprache, hier wird der Keim für religiöse Bindung, Sinn für Schönheit, Literatur und Musik und charakterliche Tugenden gelegt - auch in Arbeiterfamilien. Die Etablierung der Volksbildung durch Schulpflicht und öffentliche Bildungsstätten hat das Fundament für den industriellen Aufstieg Deutschlands im 19. Jahrhundert gelegt. Aber: Die völlige Egalisierung war nicht beabsichtigt. Die Durchlässigkeit des Bildungssystems und die Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg setzt Willen zu Leistung und Eigeninitiative voraus. Die Rückbesinnung auf bewährte Standards in allen Schulformen ist das Gebot der Stunde.

Der Staat sollte darüber hinaus sogar das Gegenteil des derzeit Diskutierten tun: Nicht eine Ausweitung von Erziehungs- und Betreuungsangeboten ist die Lösung, sondern der Rückzug aus Aufgaben, die von der Familie zu leisten sind - die von Gender-Ministerin von der Leyen denunzierte "Herdprämie" ist ein Beispiel. Die Privilegierung der Erziehungsleistung der Familie muß betont und nicht abgeschwächt werden. Eine solidarische Gesellschaft hilft Kindern aus weniger privilegierten Verhältnissen, der Staat darf aber nicht die Illusion vortäuschen, die Leistung der Familie ersetzen oder nivellieren zu können. Ansonsten zerstört er die Familie und damit sich selbst.


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