© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Ein Realo und das Politische
Der griechische Querdenker Panajotis Kondylis und die Deutung von Machiavellis Weltbild
Karlheinz Weissmann

Es gab in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts so etwas wie ein heimliches Leitorgan der intellektuellen Rechten: die Tiefdruckbeilage der FAZ "Bilder und Zeiten", die nur mit der Wochenendausgabe erschien. Hier wurden gelegentlich Autoren und Themen behandelt, die sonst in den großen Medien längst keinen Platz mehr hatten, und ein verschworener Kreis las die Beiträge wie Palimpseste, erhoben und beruhigt zugleich in dem Bewußtsein, nicht völlig isoliert zu sein.

Eine zentrale Bedeutung in der zweiten Phase des Zeitabschnitts nahmen die Essays von Panajotis Kondylis ein, jenes griechischen Privatgelehrten, der mit magistralen Arbeiten zur Geschichte des europäischen Rationalismus und zur Entwicklung des Konservatismus im 19. Jahrhundert hervorgetreten war. Wenigstens die "Antiromantiker" unter den Rechtsintellektuellen sahen in ihm einen Verbündeten, der mit unbestechlicher Schärfe die Gegenwart und ihre Bedingungen diagnostizierte.

Es war damals wohl kaum jemandem bekannt, aber es hätte auch niemanden verwundert zu erfahren, daß Kondylis ein eminenter Kenner Machiavellis war. Die Affinität zwischen beiden lag allzu nahe, begründet in der Neigung, Politik- als Wirklichkeitswissenschaft zu treiben, entschlossen, sich nicht von der Propaganda der Handelnden oder ihren nachgeschobenen Rechtfertigungen beeindrucken zu lassen, aber auch frei von der illusionären Hoffnung auf ein Ende des Politischen und das Verschwinden der Machtkämpfe in einem Zeitalter der Vernunft und des großen Ausgleichs.

Wenn der Akademie-Verlag jetzt den ursprünglich als Einleitung zur griechischen Ausgabe der Schriften Machiavellis gedachten Text von Kondylis in deutscher Sprache zugänglich macht, kann man zuerst Sachlichkeit des Tons und gelegentliche Hinweise auf die Sympathie des Autors für seinen Gegenstand erwarten. Diese Erwartung trügt nicht, und einmal mehr steht man beeindruckt vor der Sachkenntnis dieses viel zu früh verstorbenen Mannes.

Kondylis' Machiavelli-Deutung ist nicht krampfhaft um Originalität bemüht. Er referiert dessen Denken und betont die zeitgebundenen Aspekte. Aber es geht ihm durchaus auch um die Frage nach dem Nutzen für die Gegenwart. Im Schlußteil seines Buches nennt er drei theoretisch denkbare Fortentwicklungen in bezug auf das von Machiavelli aufgewiesene Grundproblem des Politischen: Erstens, die Trennung von Politik und Moral entfällt in einer wahrhaft humanen Gesellschaft; zweitens, die Trennung beider Sphären wird auf ewig fortbestehen, weil sie immanent ist; drittens, "die Trennung von Politik und Moral wird in der Praxis nicht aufgehoben, sondern sie herrscht in einem Maße vor, daß die moralische Seite schwindet und in Vergessenheit gerät - in einer historischen Phase, in der die Barbarei, wie technologisch verklärt auch immer, ein selbstverständlicher und unbeschwerter Lebensstil für Leute mit Gehirnwäsche wird, die jedes Problem nur technisch behandeln und lösen ..." Kondylis hat die Entscheidung darüber abgelehnt, welche der drei Tendenzen sich durchsetzen werde. Aber aus dem allgemeinen Zusammenhang darf man schließen, daß ihm die erste illusionär erscheinen mußte und die dritte furchtbar. Noch in der Position des "Skeptizismus", die er reklamierte, wird die Lektion Machiavellis erkennbar.

Günter Maschke spricht in seinem Vorwort, das der Ausgabe des Machiavelli-Buchs von Kondylis beigegeben wurde, von der Tapferkeit des "Erkenne die Lage!", das die eigentliche Generalforderung des Florentiners gewesen sei, der zu folgen aber immer nur wenige bereit waren. Darunter sicher Kondylis. Aber auch Maschke selbst wird man dem Kreis der Adepten zuzählen müssen, ihn, den Rudi Dutschke mit dem Kriegsnamen "Maschkiavelli" ehrte. Seine einleitenden Bemerkungen bieten jedenfalls auch Innenansichten des rechten Machiavellismus, was wiederum verständlich macht, warum seine Funktion in dem eingangs erwähnten Zusammenhang hier mit erwähnt werden muß. In der Endphase seiner Zeit als Mitarbeiter der Frankfurter Allgemeinen hat Maschke das Seine getan, um subversive Kenntnisse und verdeckte Losungsworte zu verbreiten. Derlei darf man nicht gering werten in den Anfängen einer politischen Bewegung.

Panajotis Kondylis: Machiavelli. Mit einer Vorrede von Günter Maschke. Akademie-Verlag, Berlin 2007, gebunden, 181 Seiten, 39,80 Euro


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