© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Viel Kummer
Kasseler Bürgerpreis für russische Soldatenmütter
Daniel Körtel

Eine hermetisch abgeschlossene Zone, vergleichbar einem Gefängnis", urteilte die vor einem Jahr ermordete russische Journalistin Anna Politkowskaja über die Streitkräfte ihres Landes und verglich deren Soldaten mit Sklaven. Die älteste und bekannteste Nichtregierungsorganisation, die sich darum bemüht, die entsetzlichen Zustände in der russischen Armee zu bessern, ist die Union der Komitees der Soldatenmütter Rußlands. Für ihre Verdienste wurde sie vergangenen Sonntag in Kassel mit dem Preis "Das Glas der Vernunft" ausgezeichnet. Mit diesem Bürgerpreis werden Einzelpersonen oder Gremien geehrt, die sich um die Ideale der Aufklärung wie Menschenrechte, Vernunft und Toleranz verdient gemacht haben (JF 41/06).

Differenziert geriet der Festvortrag des Bischofs der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Martin Hein. Mit Blick auf den westlichen Menschenrechtsuniversalismus reflektierte er über Gefahren für den Menschen "vom ersten Keim" an. Doch seltsamerweise kritisierte er bei den Gefahren für den Embryo lediglich die modernen Diagnoseverfahren wie die Präimplantationsdiagnostik. Die gängige Abtreibungspraxis und die damit einhergehende Problematik der Menschenrechte des ungeborenen Lebens sprach der kirchliche Funktionsträger nicht an.

Als Laudator zeichnete der Journalist Dirk Sager, der von 1980 bis 2005 als ZDF-Korrespondent aus Moskau berichtete, ein düsteres Bild des heutigen Rußland und der Verhältnisse in seiner Armee. Exemplarisch rief er den Zynismus der russischen Führung in Erinnerung, die im ersten Tschetschenien-Krieg die unerfahrenen und unzureichend vorbereiteten Rekruten regelrecht verheizt hatte. Er beschrieb den Werdegang der Soldatenmütter von ihren Anfängen 1989 in der Gorbatschow-Ära, in der sie noch bis in die Zeit Jelzins hinein ihre Anliegen durchsetzen konnten. Doch mit dem zweiten Tschetschenien-Krieg änderte sich die Situation für die Soldatenmütter, die von der neuen russischen Führung als "Fünfte Kolonne" des Westens angesehen werden. Ihre Arbeit sei nun zahlreichen Einschränkungen unterworfen. Eine Reform der Streitkräfte, die den Soldaten als Staatsbürger versteht, sei ausgeblieben. Statt dessen hätten Geheimniskrämerei und Staatsräson wieder ein höheres Gewicht. In Hinblick auf die Soldatenmütter warnte er: "Wer gegen den Kreml ist, wird zum Feind."

In ihrer Dankesrede machte Valentina Melnikowa, die als Generalsekretärin der Soldatenmütter den Preis entgegennahm, deutlich, wie wichtig für ihre Organisation diese Unterstützung ist, da sie keine Hilfe vom russischen Staat erhielten: "Die Soldatenmütter haben viel Kummer", sagte Melnikowa.


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