© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Unhaltbare Zustände im Jugendgefängnis
Berlin: Wärter der Haftanstalt Plötzensee klagen über ausufernde Gewalt / "Mitgefangene wie Sklaven gehalten" / Senatorin sagt vor Rechtsausschuß aus
Fabian Schmidt-Ahmad

Mit harten Worten bedachte die Berliner Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) ihre Kritiker. "Geradezu ehrabschneidend" nannte sie vergangene Woche vor dem Rechtsausschuß des Abgeordnetenhauses den Vorwurf, daß Justizbedienstete in der Jugendstrafanstalt Plötzensee vor der zunehmenden Gewalt wegschauten. In einer Sondersitzung sollten Mißstände um die Anstalt geklärt werden.

So wurde erst nach massiven Protesten der Anwohner ein umfangreicher Schmuggel mit Drogen und Mobiltelefonen publik, die in Beuteln einfach über die Gefängnismauer geworfen wurden. Ein Umstand, der noch zu den harmloseren Problemen gehören dürfte. Ein Strafvollzugsbeamter aus Plötzensee, der "aus Angst vor Repressalien" nicht namentlich genannt werden wollte, äußerte gegenüber der Berliner Zeitung: "Viel schlimmer ist die Gewalt. Bereits vor Monaten haben wir Bedienstete die Kontrolle verloren. Die Aggressionen und die Gewalt haben in einem Maß zugenommen, das sich niemand draußen vorstellen kann. Es haben sich arabische und türkische Banden gebildet, die Mitgefangene quälen und wie Sklaven halten, die ihre Zellen putzen und für sie kochen müssen." Vera Junker, Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, bestätigte dies vor dem Ausschuß: "Es soll auch zu Versuchen gekommen sein, Gefangene zur Prostitution zu zwingen."

Die Senatorin dagegen wollte nichts von katastrophalen Zustanden der Einrichtung wissen und wähnte eine "Kampagne" der Opposition am Werk. Offensichtlich eine Kampagne mit langem Atem, welche die Justizsenatorin mit sehr eigenen Mitteln bekämpft. Als beispielsweise vergangenes Jahr ein Anstieg der Selbstmorde in Berliner Haftanstalten bekannt wurde, verfügte die SPD-Politikerin per Dienstanweisung, daß aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes - wie sie argumentierte - Selbsttötungen nicht mehr an die Öffentlichkeit kommen dürfen. Der vor den Rechtsausschuß geladene Jugendrichter Günter Räcke mußte sich zur Verblüffung der Abgeordneten erst eine Aussagegenehmigung von der Justizsenatorin erbitten, da er zuvor schriftlich auf seine Verschwiegenheitspflicht hingewiesen worden war.

Sozialarbeiter in der Kritik

Nach der Genehmigung nutzte der Richter seine wiedererlangte Redefreiheit, um auf einen ähnlichen Fall hinzuweisen, als eine Kollegin nach öffentlichen Äußerungen über die Zustände in Plötzensee per Schreiben auf "disziplinarische Maßnahmen" hingewiesen worden sei. "Schreckliche Zustände", wie Räcke bestätigte: "Gewalt ist alltäglich."

Womit wohl Räcke auch Teil der Kampagne ist, die Gisela von der Aue gegen sich wittert. Wahrscheinlich auch der Psychiater Wolfgang Droll, der derzeit rund dreißig Beamte der Anstalt betreut. Als Grund für den hohen Krankenstand gibt Droll die Mißstände in Plötzensee an, auf die er die Justizsenatorin bereits im Sommer letzten Jahres aufmerksam machte: "Ich bin jedesmal mit den gleichen Argumenten abgespeist worden", sagte er der Berliner Zeitung. "Es gebe in der Anstalt eben sehr viele labile Justizangestellte." Was die Frage aufwirft, was Gisela von der Aue unter "ehrabschneidend" versteht.

Doch nichts wäre falscher als der Verdacht, daß die unhaltbaren Zustände in der Jugendstrafanstalt auf mögliche charakterliche und fachliche Defizite der Senatorin zurückzuführen sind. Denn wie der ungenannte Strafvollzugsbeamte verdeutlicht, ist es ein Systemproblem. So sind in Plötzensee 280 Vollzugsbeamte 37 Sozialarbeitern und Psychologen untergeordnet. Letztere pflegen ein Menschenbild, welches Disziplin erst gar nicht aufkommen läßt: "Und dann verordne ich einem Jungen zum Beispiel Einschluß in seiner Zelle. Da hat der nur gelacht. Er ist zu seinem Sozialarbeiter gegangen, und der kam zu mir und sagte, warum haben Sie den Jungen denn eingesperrt. Lassen Sie den sofort wieder raus! Das mußte ich dann tun."

Im Gegensatz zur gewöhnlichen Haft steht im Jugendstrafvollzug der Erziehungsgedanke im Vordergrund. Doch es ist wirklich die Frage, wer hier erzogen wird. So weiß der Beamte zu berichten, daß Jugendliche ihre Freunde außerhalb durch Mobiltelefone informieren, wenn ein bestimmter Beamter nach Dienstschluß die Anstalt verläßt. "Und dann steht da ein Wagen mit vier Gestalten, die dich verfolgen."


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