© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/07 12. Oktober 2007

Beck geht aufs Ganze
Große Koalition: Mit seinen Vorschlägen zur Änderung der Agenda 2010 versucht der SPD-Vorsitzende seine Partei aus der Krise zu führen
Paul Rosen

Es sieht so aus, als ob der SPD-Vorsitzende Kurt Beck noch vor dem Parteitag Ende Oktober in Hamburg die Reihen der Genossen schließen kann. Ein Landesverband der SPD nach dem anderen schließt sich Becks Forderung an, das Arbeitslosengeld I an ältere Arbeitslose länger zu zahlen. Es geht um mehr als eine einzelne Maßnahme der Sozialpolitik. Schon zu Beginn des Jahres hatte Beck gesagt: "Die Grenze der Zumutbarkeit ist erreicht." Es geht um die Rückkehr des Sozialstaatsgedankens, der untrennbar zur Sozialen Marktwirtschaft gehört. In den Augen von Marktliberalen ist Becks Kurs sicher nicht zukunftsfähig. Aber Umfragen zeigen, daß er 70 Prozent der Bürger hinter sich hat.

Einen politischen Kassenschlager braucht die Sozialdemokratie ganz dringend. In Umfragen dümpelt die SPD bei 25 Prozent, die Linkspartei liegt schon bei zehn Prozent. Rot-Grün wäre nicht mehr mehrheitsfähig. Überlegungen in der SPD, aus der Großen Koalition vorzeitig auszusteigen und Neuwahlen anzustreben, sind erst einmal ad acta gelegt worden.

Beck hatte sich seit Monaten einer heftigen Diskussion stellen müssen. Seine Führungsfähigkeit wurde öffentlich angezweifelt. Doch der Rheinland-Pfälzer erwies sich als zäh. Er stand die Debatte durch und hat jetzt mit seinen Vorschlägen zur Sozialpolitik einen Trumpf in der Hand, den er auf dem Parteitag wird ausspielen können. Daß er dabei gewinnt, gilt als sicher.

Im einzelnen geht es darum, den Bezug von Arbeitslosengeld I für bestimmte Altersgruppen auszuweiten. Nach den Hartz-IV-Gesetzen, die unter Kanzler Gerhard Schröder eingeführt wurden, beträgt die Bezugsdauer für die Versicherungsleistung Arbeitslosengeld I nur noch zwölf Monate. Nur wer älter ist als 55 Jahre, kann die Zahlung noch bis zu 18 Monate lang bekommen. Dagegen hatte es massive Proteste gegeben. Selbst die CDU, deren Vorsitzende Angela Merkel am liebsten an der Agenda 2010 von Schröder festhalten will, kassierte auf dem Dresdner Parteitag einen Beschluß, in dem eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes gefordert wird.

Die CDU will allerdings, daß jüngere Arbeitslose weniger Geld bekommen, damit die längere Bezugsdauer für Ältere finanziert werden kann. Im Ergebnis wäre die Maßnahme dann kostenneutral. Das lehnt Beck klar ab. In einem Schreiben an Abgeordnete und Parteifunktionäre der SPD erklärte er, daß man für die Maßnahme rund 800 Millionen Euro benötigen werde. Im einzelnen schlägt Beck vor, daß Arbeitnehmer ab 45 Jahren künftig 15 statt zwölf Monate Arbeitslosengeld I erhalten sollen. Vom 50. Lebensjahr an soll die Zahlungsdauer auf 24 Monate steigen. Aber er will noch mehr. So soll es künftig wieder leichter möglich sein, Erwerbsminderungsrenten zu bekommen.

In einer Rede in Berlin verteidigte Beck seine Vorschläge, bekannte sich aber zugleich zu Schröders Agenda 2010: Wenn man einen prinzipiell notwendigen und richtigen Kurs beibehalte, dann müsse es jedoch auch möglich sein, das zu verändern, was sich an "Veränderungsnotwendigkeit" gezeigt habe. Mit Becks inhaltlichen Machtworten klären sich jetzt in der SPD die Fronten. Den linken Flügel hat Beck auf jeden Fall hinter sich gebracht. Es sei ein Skandal in der Geschichte der Sozialdemokratie, daß die Agenda 2010 die "Entwertung von Lebensleistungen" gebracht habe, sagte der Altlinke Johano Strasser. Auch die Parteirechten vom "Seeheimer Kreis" dürfte Beck hinter sich haben. Nur ausgewiesene Agenda-Vertreter wie Arbeitsminister Franz Müntefering wollen sich nicht damit abfinden, wie nach Ansicht dieses Flügels das Rad wieder zurückgedreht wird: "Irgendwann werden wir uns alle mit der PDS treffen, gemeinsam alte Lieder singen und sagen, so jetzt ist alles in Ordnung." Das sei jedoch falsch, sagte Müntefering. Im Ergebnis hat der Vizekanzler in der SPD allerdings zu wenig Einfluß, um Becks Wendetempo zu verringern oder den Vorsitzenden zu stoppen. Und auch Schröder spielt in der Partei keine Rolle mehr.

So hat es Beck geschafft, sich mit einem überzeugenden Sachkonzept zu stabilisieren. Umfragen zeigen, daß seine Position von einer breiten Mehrheit unterstützt wird. Dies gilt auch für eine weitere Becksche Forderung nach einer Ausweitung des Mindestlohns, der künftig auch in der Zeitarbeitsbranche gelten soll. Beck erwartet, daß die Umfragewerte für die SPD rechtzeitig zum Parteitag wieder nach oben gehen werden. Die Partei hat nur dann gute Aussichten bei Wahlen im nächsten Jahr, wenn sie bereits in Kürze bei den Umfragen wieder auf 30 Prozent bundesweit kommt.

Becks eigentliche Stunde schlägt nicht auf dem Parteitag. Sein Schicksal entscheidet sich bei den Landtagswahlen des nächsten Jahres. Wahlprozente sind die Währung der Politiker. Geht die SPD bei den Wahlen unter, ist es mit Becks bundespolitischer Karriere sehr schnell vorbei, und Außenminister Frank-Walter Steinmeier übernimmt.


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