© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/07 05. Oktober 2007

CD: Pop
Verschlüsselung
Georg Ginster

Kunst, die sich den Banalitäten der Zeit verweigert und gar nicht uneitel darauf abzielt, die flüchtige Gegenwart zu überdauern, gerät zumeist schneller in Vergessenheit als das, was nur für den Moment gemacht ist, aber wenigstens dessen Stimmung, so gültig zu erfassen vermag, daß sich die Miterlebenden noch auf dem Totenbett gerne daran erinnern. Auch die Strategien von Popschaffenden, über Bedeutungsschwere Relevanz und Nachruhm zu erwerben, gehen in der Regel nicht auf, zumindest dann nicht, wenn lediglich der Anspruch hoch, die Musik jedoch weder außergewöhnlich noch elektrisierend ist. Es bleibt aber der Trost, vielleicht wenigstens ein Geheimtip zu sein, der in elitären Zirkeln überdauert.

Über diesen Status längst hinaus ist die New Yorker Band Interpol, die sich mit der Aura unerschütterlicher Gelassenheit und unaufgeregter Ernsthaftigkeit umgibt und damit offenbar den Nerv eines Publikums trifft, das wohl gepflegt unterhalten werden möchte, es jedoch als Beleidigung empfinden würde, wollte man ihm unterstellen, sein Bedürfnis lediglich auf ein profanes Vergnügen zu richten. Menschen dieses Schlages sind in den vergangenen Jahrzehnten trotz ihres gefühlten Einzelgängertums stets eine umsatzrelevante Zielgruppe gewesen. Selbstbewußt erfreuen sie sich an der Raffinesse, mit der sie ihre introvertierte Eleganz kultivieren. Wer ihnen hierzu gepflegte Accessoires bereitstellt, darf auf die Anerkennung eines Wahlverwandtschaftsverhältnisses hoffen.

Interpol ist dies mit der jüngsten CD "Our Love to Admire" (Capitol) nun zum dritten Mal in Folge gelungen, man darf die Band damit in eine Reihe mit den Klassikern jener bis zum Urknall des Punk zurückzuverfolgenden Traditionslinie stellen, die den Nachtgedanken der entfremdeten Existenz verpflichtet sind. Was dabei zum Ausdruck gebracht wird, ist bei Interpol nie so ganz genau zu bestimmen. Die Band tut aber gut daran, sich nicht an einem Klärungsversuch zu beteiligen, an dem schließlich ganze Heerscharen von Pappnasenromantikern erbärmlich gescheitert sind. Die Evozierung einer mitten im Leben stehenden Melancholie ist erheblich verdienst- und reizvoller.

Auf dem Weg zur salonfähigen, mehr und mehr durch Lebenserfahrung gesättigten Tristesse ist die Band Tocotronic über mehr als ein Jahrzehnt konsequent vorangeschritten. Unterdessen, da das achte Album mit dem gewollt schillernden Titel Kapitulation" (Universal) vorliegt, könnte der Zielhafen, in dem fortan nur noch Immergleiches statthaft ist, erreicht sein. Die Stammkunden jedenfalls, die mit den Musikern alt geworden sind, dürften nur noch geringe Bereitschaft zeigen, weitere Veränderungen zu tolerieren, die sie der Chance berauben würden, die Erinnerung an glückselige Jugendgefühle wiederaufleben zu lassen.

Diese Anspruchshaltung sollte als ein Kompliment aufgefaßt werden: Offenbar ist es der Band mit ihren Liedern in den 1990er Jahren tatsächlich für einige Augenblicke gelungen, von den Hörern als wahrhaftige Spiegel eigener Befindlichkeiten erfahren zu werden. Die für die sogenannte Hamburger Schule insgesamt kennzeichnende Strategie, dem Publikum gerade dadurch besonders nahezukommen, daß man sich des Stoffes aus seinen Lebenswelten mit schüchterner Ironie bemächtigte und die Möglichkeit der Authentizität ansonsten rundweg negierte, verbrauchte sich jedoch rasch. Blumfeld, einst als stilbildend gepriesen, endete in der schwülen Schnulze und zog unlängst mit der Auflösung immerhin eine ehrliche Konsequenz.

Tocotronic hingegen verließ die Pfade der jugendbewegten Offenherzigkeit und der lustigen Larmoyanz und fand zur semantischen Verschlüsselung sowie zu einer Verfeinerung des Sound, die man der Band in ihren Anfangsjahren nicht zutrauen mochte.


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