© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Die Fabel vom Kriegskurs der Biochemie
Max-Planck-Gesellschaft in der "Bewältigungs"-Falle: Der linksradikale Historiker Karl Heinz Roth zur Butenandt-Kontroverse
Oliver Busch

Im Zeichen von "30 Jahre Deutscher Herbst" hätte auch der resozialisierte Terrorist Karl Heinz Roth vielleicht Anlaß, bekenntnisfreudig vor Kamera und Mikrofon zu drängeln. Doch Roth zieht es vor, der ihm seit seinen Knasttagen zur Ersatzobsession gewordenen "Entlarvung" von "Tätern" aus der konservativen "Funktionselite" des Dritten Reiches zu frönen. 

Besonderes Interesse bekundete Roth von jeher für den Biochemiker Adolf Butenandt (1903-1995). Gewiß nicht wegen seines Vornamens. Sondern weil der Nobelpreisträger von 1939 und langjährige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) zu den bedeutendsten Naturwissenschaftlern des 20. Jahrhunderts zählt und hier somit ein "Täter" ins Visier genommen werden kann, der im Höchstmaß repräsentativ und prominent ist, um aussichtsreich Pawlowsche Medienreaktionen auf einen weiteren "Fall" nicht "bewältigter Vergangenheit" auslösen zu können. 

Es konnte daher nicht ausbleiben, daß Roth, Angelika Ebbinghaus und der unvermeidliche Ernst Klee bestrebt waren, Butenandt als Direktor eines Instituts der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), der MPG-Vorläufer-Institution, in den Verdacht zu bringen, an den nach 1939 begangenen "Medizinverbrechen" beteiligt gewesen zu sein (JF 30/02). Die vom damaligen MPG-Chef Hubert Markl 1998 eingesetzte "Präsidentenkommission", die in jahrelanger Forschungsarbeit die "Verstrickungen" von KWG-Wissenschaftlern in die NS-Herrschaft untersuchte (JF 13/05), kam dann allerdings zu dem Ergebnis, daß in Butenandts Berliner Institut für Biochemie weder die ihm unterstellte Kampfstoffentwicklung stattfand noch "Menschenversuche" an russischen Kriegsgefangenen vorgenommen wurden. Erste "Enthüllungen" wie die von Klee, so räumt Roth nun ein, seien in dieser Hinsicht wohl "oft recht ungenau" gewesen (Sozial.Geschichte, 1/07).

Trotzdem sieht er keinen Anlaß zurückzurudern. Habe die Präsidentenkommission doch immerhin die "problematischen Seiten der Biographie" Butenandts wie seine "Rolle im Netzwerk der Wissenschaftspolitik der NS-Diktatur" bestätigt. Was Roth unter "problematisch" versteht, illustriert seine Attacke gegen die amtierende MPG-Leitung. Die habe 2006 Druck auf einen Dokumentarfilmer ausgeübt, der in einem für den Bayerischen Rundfunk erstellten Streifen zur NS-Wissenschaftspolitik nicht nur die Märchen von den "Kampfstoffen" und "Menschenversuchen" erzählen wollte, sondern auch behauptete, Butenandt "befürwortete seit 1936 den deutschen Aggressions- und Kriegskurs, für den die deutsche Wissenschaft die geeigneten Machtinstrumente bereitzustellen habe". Dank der MPG-Intervention entfiel die "Kampfstoff"-Passage und das indirekte Zitat über "die deutsche Wissenschaft" in der gesendeten Fassung. Nicht getilgt wurde die an SED-Propaganda gemahnende Floskel vom "Aggressions- und Kriegskurs" seit 1936, eine Sequenz, an der für Roth "schlechthin nichts mehr ausgesetzt werden" könne. Abgesehen davon, daß nur Simpel einem solchen zeithistorischen Reduktionismus huldigen, fehlt jeder Beleg dafür, daß Bute-nandt sich ab 1936 als Forscher explizit zur Unterstützung eines "Kriegskurses" bekannte.  

Trotzdem wähnt Roth, die MPG-Leitung habe unzulässig "Zensur" geübt und plane einen "restaurativen Paradigmenwechsel" in der Bewertung der KWG-Geschichte zwischen 1933 und 1945, die auf eine "Revision" der für ihn "eindeutigen" Resultate der "Präsidentenkommission" hinauslaufe. An der Spitze einer "Rehabilitationskampagne" für Butenandt und das gesamte KWG-Personal macht Roth den Göttinger Immunchemiker und MPG-Direktor Norbert Hilschmann aus, der mehrfach versucht habe, die Arbeitsergebnisse der Kommission zu "diskreditieren". Obwohl Roth unbestreitbar urteilt, die von Markl initiierte aufwendige "Bewältigung" sei unter den obwaltenden Zeitgeistkonditionen dem internationalen Image der MPG eher zugute gekommen, unterstellt er dem von Hilschmann angeführten "Direktorenflügel", eingepreßt in die "globalen wissenschaftlichen Reputationszwänge", und mit Blick auf das 2011 bevorstehende 100. Gründungsjubiläum, gleichwohl von Imagesorgen getrieben zu sein.

Ersatzweise könne auch die Furcht vor aktuellen Parallelen im Spiel sein, die sich aus der "Rekonstruktion der autoritär-hierarchischen Kontexte faschistischer Wissenschaftspolitik" ableiten ließen. Das ist zumindest konsequent argumentiert, wenn man sich wie Roth seit Jahrzehnten dem Wahn hingibt, in der Bundesrepublik regiere der "Faschismus" mit bestenfalls menschlichem Antlitz. Deswegen steht er auch nicht an, einen möglichen Erfolg Hilschmanns entsprechend zu dramatisieren: Sollten sich die Gegner einer "kritischen Selbstreflexion" in der MPG durchsetzen, wären die "Folgen für die deutsche Wissenschaftslandschaft und die gesamte politische Kultur von weitreichender Bedeutung". Was wohl heißen soll, daß die Diskurshegemonie, die Roth und Genossen im Geist der bewährten "Braunbuch"-Ideologie der DDR ausüben, dann etwas fraglicher erschiene.


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