© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Zwischen Krieg und Wirtschaftswunder
In seinem Metier zu Hause: Zum hundertsten Geburtstag des deutschen Filmregisseurs Rudolf Jugert
Werner Olles

Zu Beginn der 1950er erreichte der deutsche Film langsam wieder eine gewisse Stabilität. Nachdem die ersten Nachkriegsjahre einen künstlerischen Stillstand gebracht hatten, begann nun mit Willi Forsts sensationslüsterner "Sünderin", Gustav Ucickys "Bis wir uns wiedersehen" und Paul Verhoevens "Vergiß die Liebe nicht" eine neue Ära. Zarah Leander filmte wieder, Kristina Söderbaum brach ihr langes Schweigen an der Seite ihres Regiegatten Veit Harlan, Karl Ritter verließ sein argentinisches Domizil, um in der alten Heimat weiterzufilmen, und Leni Riefenstahl vollendete ihren Opernfilm "Tiefland" (1953).

Ob die Wiedersehensfreude für den ehemaligen berühmten UFA-Produzenten Eric Pommer, der in die USA emigrieren mußte, ebenso ungetrübt war, mag dahingestellt sein. Sein von Rudolf Jugert inszeniertes Drama "Nachts auf den Straßen" (1952) weckte jedenfalls kein größeres Interesse und fiel zudem auch noch bei der Kritik durch. Sehr zu Unrecht, muß man sagen, wenn man den Film heute sieht.

Helmut Käutner hatte das Drehbuch geschrieben, und Hans Albers, Hildegard Knef und Marius Goring spielten die Hauptrollen. Jugert hatte die Geschichte eines biederen Fernfahrers in den besten Jahren, der sich durch einen attraktiven weiblichen Lockvogel in dunkle Schiebergeschäfte verwickeln läßt, aber dann gerade noch rechtzeitig auf den Pfad der Tugend und zu seiner Ehefrau zurückfindet, durchaus gradlinig inszeniert. Wenn das Naturtalent Albers mit seinem klapprigen LKW durch die Straßen der sich im Wiederaufbau befindenden Großstadt Frankfurt am Main kurvt, bekommt man als Zuschauer einen hautnahen Eindruck von der Authentizität und Lebendigkeit einer pulsierenden Stadtlandschaft, die zwar noch die Zeichen des vergangenen Krieges trug, aber immerhin noch nicht durch Fußgängerzonen künstlich beruhigt wurde.

Jugert ließ sich jedoch von Mißerfolgen nicht beunruhigen. Courage hatte er bereits im Dritten Reich gezeigt, als er es aus politischen Gründen ablehnte, selbst Regie zu führen. Statt dessen arbeitete er als Regieassistent bei Helmut Käutner, und beide drehten zwischen 1939 und 1946 eine ganze Reihe höchst erfolgreicher Filme wie "Frau nach Maß" (1940), "Romanze in Moll" (1942/43), "Große Freiheit Nr. 7" (1944), "Unter den Brücken" (1944/45) und "In jenen Tagen" (1946). So stammte die Idee, für den Albers-Film "Große Freiheit Nr. 7"  mit dem Agfacolor-System zu experimentieren, von Jugert. Und tatsächlich gab das neue Farbsystem dem Film eine unverwechselbare Atmosphäre, sowohl auf der Reeperbahn als auch im Hafen. Zwar war die Handlung leicht banal, aber nicht zuletzt dank der Farbe beschwor der Film Aufbruchsstimmung, und Jugerts Versuch, zu zeigen, daß der Farbe eine weit wichtigere Aufgabe zukommt, als nur Flächen zu füllen, erwies sich im nachhinein als goldrichtig.

Käutners und Jugerts nächster gemeinsamer Film "Unter den Brücken" geriet schließlich zu einem der schönsten und lyrischsten Filme, die überhaupt während des Krieges geschaffen wurden (JF 2/07). Drei Jahre später inszenierte Jugert dann erstmals einen Film allein. Doch mochte er auch diesmal nicht ganz auf seinen Freund Helmut Käutner verzichten, und so konzipierte dieser das pointenreiche Drehbuch zu "Film ohne Titel" (1947), einem ironischen Spiegelbild des Lebensgefühls im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit. Von Jugert mit bescheidenen Produktionsmitteln und einigen bemerkenswerten formalistischen Spielereien intelligent in Szene gesetzt, war dem mit Hans Söhnker, Willy Fritsch und Hildegard Knef prominent besetzten Film beim Publikum und bei der Kritik ein großer Erfolg beschieden.

Mit "Film ohne Titel" hatte Jugert, der am 30. September 1907 in Hannover geboren wurde, nach dem Abitur Theater- und Literaturwissenschaften studierte und 1931 als Dramaturg am Schauspielhaus Leipzig begann, endlich bewiesen, daß er auch ohne Käutner Regie führen konnte. Immerhin hatte er ja bei Alessandro Blasetti in den römischen Cinecittà-Studios sozusagen von der Pieke auf alles gelernt, was ein erfolgreicher Regisseur wissen mußte. Käutner, den er in seiner Leipziger Zeit als Oberspielleiter kennengelernt hatte, bewog ihn schließlich, nach Deutschland zurückzukehren, um ihm zu assistieren. In Wahrheit war Jugert zu diesem Zeitpunkt jedoch der Erfahrenere von beiden, denn während Käutner vom Kabarett kam und im Filmmetier noch kaum zu Hause war, verfügte Jugert bereits über eine solide Ausbildung.

Mehrmals versuchte Käutner ihm eigene Regierarbeiten zuzuschanzen, aber die Bedingung dafür wäre die Realisierung eines NS-Propagandafilms gewesen, was Jugert strikt ablehnte. 1943 zog man ihn schließlich zur Wehrmacht ein, und Jugert bereitete als Dolmetscher italienische Soldaten für ihren Einsatz an deutscher Seite vor. Eine kurze Kriegsgefangenschaft bei den Amerikanern beendete auch dieses Intermezzo.

Nach seiner Rückkehr drehte Jugert in den fünfziger Jahren über zwanzig Filme, von denen einige große Publikumserfolge wurden, wie die humorvolle und unterhaltsame Familiengeschichte "Ich heiße Niki" (1952), die politische Persiflage "Jonny rettet Nebrador" (1953), die tragisch-romantische Liebesgeschichte "Es kommt ein Tag" (1950), die Maria Schell und Dieter Borsche zu Stars machte, die Effi-Briest-Verfilmung "Rosen im Herbst" (1955) mit Ruth Leuwerik in der Titelrolle und "Die Wahrheit über Rosemarie" (1959), die Verfilmung des Lebens der Frankfurter Luxusdirne Rosemarie Nitribitt.

Zwar hatte Rolf Thiele den Stoff bereits ein Jahr zuvor verfilmt ("Das Mädchen Rosemarie"), doch war Erich Kubys Drehbuch-Mischung aus Moritat, Satire und Kabarett bei den Kinozuschauern nicht besonders gut angekommen, während die Kritik von der Glossierung des Wirtschaftswunders und seiner abwegigen Seiten begeistert war.

Im Gegenzug warf man Jugerts Film, der schließlich in einer "gereinigten" Fassung in die Kinos kam, einen moralisierenden Aspekt, vor allem aber seine spekulativen Absichten vor, wozu gewiß auch die Darstellung der Rosemarie durch den britischen Sexstar Belinda Lee beitrug, die dem Untertitel "Glanz und Elend einer Verlorenen" alle Ehre machte.

Seine letzten Filme drehte Jugert in den sechziger Jahren, darunter die Edelschnulze "Die Stunde, die du glücklich bist" (1961), "Axel Munthe, der Arzt von San Michele" (1962) mit O. W. Fischer in der Titelrolle und den Kriegsfilm "Kennwort: Reiher" (1963), für den ihm ein Jahr später das Filmband in Gold für den besten abendfüllenden Spielfilm verliehen wurde. Bis zu seinem Tod am 14. April 1979 in München entstanden für das neue Medium Fernsehen unter seiner Regie fast fünfzig TV-Produktionen, darunter "Der Bastian" (1974) und "Drei sind einer zuviel" (1979), zwei der beliebtesten Serien der siebziger Jahre.

Foto: Rudolf Jugert (l.) mit Hildegard Knef während der Dreharbeiten zu dem Film "Nachts auf den Straßen" (1952): Neue Ära


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