© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Zum Mythos versteinert
Der ewige Beste: Orson Welles' "Citizen Kane" kommt erneut ins Kino
Jean Lüdeke

Die respektable Reanimation eines filmischen Jahrhundert-Mythos: Auf der Top-Ten-Liste der angesehenen Fachzeitschrift Sight & Sound des British Film Institute, die im Turnus von zehn Jahren von namhaften Regisseuren und Kritikern gewählt wird, belegt "Citizen Kane" seit nunmehr 45 Jahren kontinuierlich den ersten Platz. Warum?

George Orson Welles (1915-1985) gilt als einer der stilgebenden Regisseure Hollywoods. Dieses erste monumentale "Autorenkino" überhaupt wird vielfach als der bedeutendste Film der Filmhistorie bejubelt, vor allem wegen seiner unzähligen technischen Innovationen. Für neun Oscars 1942 nominiert, wurde das ebenso genialische wie unterhaltsame Kinoerlebnis "nur" für das beste Drehbuch belohnt. Nun kehrt das zynische Gesellschaftsporträt um den berühmten Medienmogul Charles Forster Kane in die Kinos zurück.

Es geht um Aufstieg und Fall des Zeitungszaren Kane, der äußerlich wohlhabend, aber innerlich arm in seinem Prunkschloß "Xanadu" stirbt. Dieses schimärische Gemäuer, eine Art Barbie-Burg, die Dracula im LSD-Delirium hätte dekoriert haben können, prunkt auf einem künstlichen Zauberberg aus runden 20.000 Tonnen Marmor, von mehr als 100.000 Bäumen kaschiert. Schon die ersten Sequenzen mit ihren grotesken Requisiten (wie exotische Tiere auf den Ästen) kontrastieren knallhart zum erzeugten moribunden Timbre. Und anstatt heller Euphorie scheint eher dumpfe Apathie hier den Trip in den seelischen Hades einzuläuten.

Fast jedes Bild wird dabei von seinem Hintergrund dominiert. Unüblich und epochal zugleich: "Citizen Kane" als gigantisches Panoptikum der Filmgeschichte schlechthin, die an Stilen, Stimmungen und Kameratricks so ziemlich alles enthält, was Hollywood bis dahin nur ominös andeutete, jedoch so intensiv grotesk wie Welles nie wieder zu bebildern vermochte.

Nach seinem sensationellen Erfolg mit dem Hörspiel "The War of the Worlds" konnte er bei der Produktionsfirma RKO einen Vertrag durchkämpfen, der ihm alle Freiheiten versprach. Regisseur, Protagonist und Co-Autor in Personalunion, wählte Welles einen hochbrisanten Stoff: Die Figur Kane besaß ein sehr reales Vorbild in dem Pressezar Ran­dolph Hearst, der prompt in seinen Zeitungen gegen den Film mobil machte.

Bei der Uraufführung erwies sich "Citizen Kane" denn auch als kommerzieller Flop. Welles mußte sich fortan den harschen Restriktionen der Produzenten beugen und konnte kaum weitere Arbeiten so richtig vollenden.

Erst Jahrzehnte später wurde die Bedeutung von "Citizen Kane" einigermaßen erkannt, aber weder vollends verstanden noch geehrt: Das Meisterwerk, das die Imponderabilien des amerikanischen Mythos thematisierte, ist längst selbst zum Mythos versteinert. Forscher und Filmkritiker debattieren noch heute über seine spezielle Filmsprache.

Der Film bebildert die fiktive Biographie des Medienmoguls Charles Foster Kane (eben Welles) in mehreren langen Rückblenden - damals auch ein dramaturgisches Novum. In der Wochenschausendung "News On The March" werden die verschiedenen Lebensabschnitte Kanes beleuchtet: Aus armem Elternhaus stammend, baute er innerhalb eines halben Jahrhunderts ein millionenschweres Presse-Imperium auf, das sich aus knapp vierzig Zeitungen, etlichen Firmen und Verlagen zusammensetzte. Er war jener Typus Mensch, der sich stets im Licht der Öffentlichkeit sonnte und die Massen begeisterte und beängstigte.

So kommt der Produzent der Wochenschau zur Ansicht, Kanes Nachruf müsse noch der verkaufsträchtige Aufhänger folgen, denn "die Leute wollen nicht nur wissen, was ein Mensch vollbrachte, sondern auch, wer und was er war". Daher beauftragt er den Reporter Jerry Thompson (William Alland), die Bedeutung von Kanes letztem rätselhaften Wort "Rosebud" zu recherchieren. So entsteht durch dessen Sicht auf den Machtmenschen Kane ein für den Zuschauer vielschichtiges Bild dieser dichotomischen Ikone.

Dem 25jährigen Orson Welles gelang mit seinem Debütfilm ein Werk von beachtenswerter Bild-Eloquenz. Er begnügte sich dabei vor allem mit der doppelten Belichtung, und zwar an jenen Stellen, wo die Erzählung einer befragten Person in ihren eigenen Filmabschnitt übergeht. So erhielt er nahtlose Übergänge und die Einbildung, das Gezeigte entstehe nur in der Erinnerung der befragten "Mitwisser". Eine derartige Filmsprache war bis dato unbekannt. Ebenso wird oft ein extremes Weitwinkelobjektiv verwendet, das Perspektive verzerrt, um wuchtige Dramatik und stetige Spannung zu evozieren.

Nicht spannend dagegen das schon lange angestaubte Ranking, denn auch das hehre American Film Institute läßt alle zehn Jahre 1.500 Schauspieler, Kritiker und Filmhistoriker über ihre Lieblinge votieren. Auch danach bleibt "Citizen Kane" der "beste Film aller Zeiten".

Foto: Charles Foster Kane (Orson Welles): Dumpfe Apathie läutet den Trip in den seelischen Hades ein


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