© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

CD: Cecilia Bartoli
... bis er stockt
Andreas Strittmatter

Die Vorliebe der italienischen Sängerin Cecilia Bartoli für Rares ist bekannt (siehe das nebenstehende Porträt). Ihr neues Album "Maria" (Decca 4759077 4, Vertrieb: Universal) spürt aber nicht einem bestimmten Komponisten nach, sondern der französischen Mezzosopranistin Maria-Felicia Malibran. Was hat die Malibran gesungen? Wie hat sie gesungen? Was war an dieser Frau, die bereits mit 28 Jahren an den Folgen eines Reitunfalls in England starb, so besonders, daß ihr nicht nur das Publikum, sondern auch unzählige Komponisten zu Füßen lagen?

Er hoffe, "ausdrücklich für Sie" eine Oper komponieren zu können, schrieb ihr 1835 ein schwärmerischer Vincenzo Bellini. Dieser Wunsch erfüllte sich nicht - der Komponist starb einige Monate, nachdem er dem "kleinen Engel" so gehuldigt hatte. Auszüge aus älteren Opern Bellinis stellen allerdings die bekanntesten Stücke auf der knapp achtzig Minuten satten Hommage. Cecilia Bartoli eifert als Norma, als Elvira ("I Puritani") und als Amina ("La Sonnambula") der von ihr zur Ahnfrau erkorenen Malibran nach, welcher sich die Mezzosopranistin in Stimmklang und technischem Können verwandt fühlt.

Die Bewertung dieser Experimente ist heikel. Normas "Casta Diva" besticht nicht durch eine ehrfurchtgebietende Gesangslinie in der Callas-Tradition, die bei der Bartoli seltsam geborsten daherkommt - vielleicht auch bedingt durch Willen und Wollen der Sängerin, Bellinis Pianissimo-Vorschrift gestrenge und angestrengt einzuhalten. Das Gebet der Druidenpriesterin gerät zur Träumerei, die sich bei allem nächtlichen Zauberklang von der Rückbindung an eine bestimmte Szene, mit der der Komponist einen bestimmten Zweck verfolgt, löst.

In diesem Sinne leistet sich Cecilia Bartoli einen Eklektizismus, wie er den Primadonnen des 19. Jahrhunderts gerne nachgesagt wird: Normas Cavatina wird zum Delikatessenhappen. Freilich ist dies durchaus auch eine Möglichkeit, um einer Primadonna jener Tage Tribut zu zollen.

Während sich Bartoli in der fein gestalteten und souverän phrasierten Wahnsinnsszene der Elvira aus "I Puritani" (die CD offeriert eine tiefergelegte Malibran-Version) bereits mehr in den üblichen Geleisen der Oper bewegt, fährt sie mit dem abschließenden Primadonnen-Rondo aus "La Sonnambula" unter Volldampf auf einer imaginären Bühne ein - kraftvoll und quicklebendig unterstützt vom auch sonst exzellenten Orchestra La Scintilla unter der inspirierenden Stabführung von Adam Fischer. Die Aufnahme, deren magischer Sogwirkung man sich kaum verschließen kann, gehört ganz zweifellos zu den Höhepunkten des Albums.

Zuvor muß man sich nur an eine gestalterische  Marotte der Bartoli gewöhnen: Sie vokalisiert nicht nur, sie konsonantisiert sozusagen auch gerne. Vor allem rollende "R" haben es ihr angetan, wozu sie eigentlich in Stücken wie dem lautmalerischen Kriegszug-Artefakt "Rataplan" schon genügend Gelegenheit hat. Diesen kleinen musikalischen Spaß hat die Malibran übrigens ebenso selbst komponiert wie eine eigene Version der Arie "Prendi, per me sei libero" für Donizettis "Der Liebestrank".

Wer den Gesang von Cecilia Bartoli als zu manieriert erachtet, wird seinen Vorbehalt auf diesem Album rundweg bestätigt finden. Unter diesem Gesichtspunkt kann es fast schon anstrengend sein, sich Bartolis Malibran-Mission am Stück anzuhören. Mit seinen Raritäten und Ersteinspielungen von Szenen und Arien aus der italienisch-romantischen Oper (Wem sind heute schon Komponisten wie Pacini, Persiani oder Rossi wirklich noch ein Begriff?) ist "Maria" aber nicht nur ein Echo einer verschütteten Gesangtradition und eine Erinnerung an eine bedeutende Sängerin vergangener Tage, sondern auch eine glückliche und hochinteressante Neubelebung verloren geglaubter Kunst.


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