© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/07 28. September 2007

Hitler als Erzieher
Der Nachruhm des Bösen: Noch immer verdirbt der Führer den deutschen Charakter
Thorsten Hinz

Die Wahl Adolf Hitlers zum größten Deutschen hat das ZDF verhindert, indem es ihn für seine Quiz-Show gar nicht erst nominierte. Das war richtig. Zwar erfüllt Hitler das von Jacob Burckhardt aufgestellte Kriterium historischer Größe der "Einzigkeit, Unersetzlichkeit", so daß uns die Welt ohne ihn "unvollständig erschiene, weil bestimmte große Leistungen nur durch ihn innerhalb seiner Zeit und Umgebung möglich waren und sonst undenkbar sind".

Aber damit eine Leistung wirklich "groß" wird, benötigt ihr Vollbringer "Seelengröße", kennzeichnet ihn das "Verzichtenkönnen auf Vorteile zugunsten des Sittlichen". Hitler war ein zutiefst unsittlicher Mensch. Ausgerechnet das sichert ihm aber einen auf Dauer abgestellten Nachruhm. Er ist geworden, was Goethe, Schiller, Bach und Rembrandt zu werden nie gelungen ist: der Erzieher, die höchste Instanz, die spirituelle Mitte der Deutschen!

Was ist dagegen einzuwenden? Sich ex negativo am Bösen zu orientieren - stiftet das nicht Sicherheit in einer fragmentierten Welt, führt es nicht automatisch auf den Pfad der Tugend? Genau das ist der Kurzschluß. Das Böse kommt keineswegs als solches daher, seine Wirksamkeit verdankt sich der Camouflage, dem Spiel mit unterschiedlichen Versatzstücken. Häufig ist es das pervertierte oder - wie Thomas Mann sagte - das "fehlgegangene Gute". Um seine komplizierte Dialektik zu entschlüsseln, bedarf es historischer Detailkenntnis und philologischer Akkuratesse. Weil diese in der Mediengesellschaft keine Rolle spielen, erzieht der Führer, der ubiquitäre Medienstar, die Deutschen zu Dummheit, Gemeinheit, zum Denunziantentum, zur Angst, verdirbt er das öffentliche Gespräch und damit die Res publica.

Drei Beispiele aus der jüngsten Zeit: Eva Herman hat, wie man nachlesen konnte, keineswegs Hitlers Familienpolitik gelobt, sondern sich dagegen verwahrt, Familienwerte, die es vor und außerhalb Hitlers gab, unter Berufung auf den Führer zu verabschieden. Dennoch titelte Spiegel online mit Vernichtungsabsicht: "Eva Herman und die Mütter unter Hitler". Die Krimiautorin und Literaturmoderatorin Thea Dorn, die sich mit ihrem Buch "Die neue F-Klasse", das Interviews mit Karrierefrauen enthält, zur Wortführerin eines vorgeblich ideologie- und auf jeden Fall weitgehend kinderfreien Feminismus gemacht hat, sah die "Freundin brauner Familienpolitik entlarvt" und höhnte über das faktische Berufsverbot, das der NDR gegen Herman verhängte, nun hätte sie Zeit, "um zu Hause in Ruhe Apfelkuchen backen zu können". Bereits ihr "medial hochgejazzter Bestseller" hätte "genug Anlaß geboten, daran zu zweifeln, daß sich seine Autorin im ideellen Raum einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bewegt".

Neid und Ressentiment blasen sich hier moralisch auf. Am Ende erweist die ehemalige Philosophiedozentin Dorn sich doch nur als gedankenarme, antifaschistische Klassenpetze. Ernst Jünger fühlte sich von den Nationalsozialisten abgestoßen, weil diese noch auf ihre längst besiegten Gegner einprügelten. Frau Dorn kennt solche Skrupel nicht.

Kurz darauf brachte die Äußerung des Kardinal Meisner, eine Kunst ohne Gottesbezug "entarte", die Medien zum Schäumen. Kaum jemand unternahm es, den rationalen Kern der Aussage herauszupräparieren. Die Herkunft der Kunst aus der kultischen Verehrung der Götter ist eine Binsenwahrheit. Diese Verbindung wird allgemein als Transzendenzbezug oder, in der strukturalistischen Kunstwissenschaft, als Amalgam aus archäologischen und utopischen Bedeutungsschichten beschrieben. Entweder enthält ein Werk sie, dann hat es die Chance, vor der Zeit zu bestehen, oder es wird von ihrem Strom fortgespült.

Wem die Äußerung Meisners, der als Gottesmann natürlich vom lieben Gott spricht, zu katholisch ist, der sollte sich beim Marxisten Georg Lukács kundig machen: "Denn wenn der Mensch als Maß aller Ding gefaßt wird, wenn mit Hilfe dieses Ausgangspunktes jede Transzendenz aufgehoben werden soll, ohne daß gleichzeitig der Mensch selbst an diesem Standpunkt gemessen (...) worden wäre, so tritt der verabsolutierte Mensch einfach an die Stelle jener transzendenten Mächte, die er zu erklären, aufzulösen und methodisch zu ersetzen berufen wäre. An die Stelle der dogmatischen Metaphysik tritt - bestenfalls - ein ebenso dogmatischer Relativismus." Dann schlägt der Mensch aus der Art und wird zum Ferkel! Das Substitut für die "dogmatische Metaphysik" glaubte Lukács im proletarischen Klassenbewußtsein gefunden zu haben - eine Verirrung, die Ströme von Blut gekostet hat.

Apropos Ferkel: Als Joseph Beuys sagte, jeder Mensch sei ein Künstler, da meinte er, jeder solle auf dem Gebiet, wo er etwas versteht, sein Bestes geben, dann wächst und wirkt er über sich selbst hinaus, transzendiert er sich. Da heute Selbstbezug und -darstellung mit Emanzipation verwechselt werden, legitimiert der Satz jeden beliebigen Nichtkönner, der den öffentlichen Raum mit Graffiti verschmutzt. Um überhaupt gehört zu werden, hat der Kardinal sich des Reizwortes "entartet" bedient - und damit eine Erörterung des Themas desto sicherer verhindert.

Diesem schon tragischen Mechanismus hat sich auch der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel nicht entziehen können. Er verglich Oskar Lafontaine mit - Hitler. Der rhetorische Mißgriff erstaunt, weil Henkel selber den permanenten Bezug auf das Dritte Reich als eine Hauptursache für die Lähmung in Deutschland beschrieben hat. Doch er läßt sich erklären: Henkel sieht Lafontaine zu Recht an der Spitze einer mächtigen egalitären Linkstendenz. Da Hitler als "Rechter" gilt und die Linke als sein Opfer einen politischen Rabatt besitzt, muß Henkel, um nicht selber als Krypto-Nazi und Anhänger einer neuen Harzburger Front attackiert zu werden, Lafontaine als rechtsextrem und an der Seite Hitlers verorten. Die fällige Diskussion jedoch ist damit erstickt.

Günter Maschke hat einmal bissig kommentiert: "Die BRD kann die Ausländerfrage nicht lösen - wegen Hitler! Sie kann die Frage der inneren Sicherheit nicht lösen - wegen Hitler! Sie kann ihre Armee nicht zu einer kriegsfähigen Truppe formen - wegen Hitler! Sie fürchtet den Vorwurf des Antiamerikanismus - wegen Hitler! Und den des Antikommunismus - wegen Hitler! Sie kann die Kriminalität nicht eindämmern - wegen Hitler! Sie versagt sich die Rechte, die jeder Nation zustehen - wegen Hitler! Wie lange noch die Regierung Hitler?" Wenigstens solange die von Hitler erzogenen, geformten und genormten Deutschen die Mehrheit bilden.

Foto: Helge Schneider als Adolf Hitler im Schaumbad in dem Film "Mein Führer" von Dani Levy: Die fällige Diskussion ist damit erstickt


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